Antje Schrupp im Netz

Nossa Senhora Aparecida

Schwarze Madonna und Nationalheilige Brasiliens

Die schwarze Madonna mit ihrer Diamantenkrone und dem bodenlangen blauen Umhang, auf dem links und rechts die Nationalflagge aufgenäht ist, ist im größten katholischen Land der Welt allgegenwärtig. Ihre Statue fehlt auf keinem Altar, in kaum einem Wohnzimmer, ihr Bild schmückt Kalender, Autofenster, Schulhefte und Bürowände. Und natürlich hat sie auch einen eigenen Radiosender. Patricia Tosta, Theologin und Journalistin von Radio Aparecida:

Das brasilianische Volk hat eine große Zuneigung, eine große Verehrung für Maria, die Mutter Jesu. Unsere Schutzherrin, Nossa Senhora Aparecida, hat ihr Heiligtum im Bundesstaat São Paulo, und jedes Jahr empfängt sie dort Tausende von Gläubigen. Dieser Kult ist Teil der Volksreligiosität, die Verehrung für Maria, die Mutter, die Beschützerin, die Frau, die unter so vielen Schwierigkeiten zu leiden hatte. Und weil unser Volk auch unter vielem leidet, sieht es in Maria die Gefährtin, von der es Hilfe erbittet.

Das Nationalheiligtum, die Kathedrale von Nossa Senhora Aparecida, liegt etwa auf halber Strecke zwischen São Paulo und Rio de Janeiro. Dort sollten im Jahr 1717 drei Fischer für die Bewirtung eines durchreisenden Gouverneurs sorgen. Doch statt Fischen fanden sie in ihren Netzen eine kleine, zerbrochene Terrakotta-Figur der Muttergottes, zuerst den Körper, später den dazugehörigen Kopf. Als sie beides zusammenfügten, zogen sie endlich volle Netze aus dem Fluß. Aus Dank bauten sie der so unverhofft Aufgetauchten– Aparecida auf portugiesisch – eine kleine Kapelle. Die kleine, nicht einmal vierzig Zentimeter hohe Madonnenfigur machte aus dem verschlafenen Nest einen der größten Wallfahrtsorte der Welt: Heute pilgern jedes Jahr etwa sieben Millionen Menschen hierher. Bischof Dom José Carlos:

Das sind die Wunder Gottes. Gott hat zugelassen, dass eine einfache Statue, die man in den Fluss geworfen hatte, eine solche Geschichte auslöste. Sicher hat die Kirche diesen volkstümlichen, spontanen Glauben stimuliert und unterstützt. Aber das Wunder liegt in der Einfachheit der Leute, die vor dieser Figur beten. So wurde aus einer kleinen Kapelle eine größere Kirche und noch eine größere. Bis schließlich selbst der Papst die Schutzheilige Brasiliens unter diesem Namen offiziell anerkannte: Nossa Senhora Aparecida.

Die heutige, 1984 fertiggestellte Basilika von Aparecida fasst 45.000 Menschen und ist, so versichern die Brasilianer, die zweitgrößte Kathedrale der Welt nach dem Petersdom. Auch der Staat hat von Anfang an die Verehrung des Volks für die aufgetauchte Maria unterstützt. Prinzessin Isabel stiftete Ende des 19. Jahrhunderts eine diamantene Krone, und auch einen offizieller Nationalfeiertag hat Nossa Senhora längst. Dass ein Angriff gegen die Nationalheilige in Brasilien mehr als nur religiöse Gefühle verletzt, zeigte sich vor fünf Jahren, als der Pastor einer evangelisch-pfingstlerischen Kirche bei einem Live-Auftritt im Fernsehen gegen diesen Kult um ein, wie er sagte, simples Stück Holz, wetterte. Demonstrativ schleuderte er eine Statue von Nossa Senhora Aparecida zu Boden und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus. Seither ist die Marienverehrung in Brasilien ist populärer denn je, vor allem in der charismatischen Bewegung um Padre Marcello, der immer ein Ave Maria auf den Lippen hat.

Doch Nossa Senhora lässt sich nicht von einer bestimmten Strömung vereinnahmen. Sie ist auch die Schutzpadronin der Armen, der Unterdrückten. Eines ihrer Wunder soll 1850 die Befreiung des Sklaven Zacarias gewesen sein. Und wegen des dunklen Gesichtes der verwitterten Terrakotta-Figur gilt sie auch als Schwarze, es ist die Maria der afrobrasilianischen Bevölkerung. Deshalb spielt sie auch in der Befreiungstheologie eine wichtige Rolle. Patricia Tosta:

Die Befreiungstheologie zeigt uns eine Maria, die mehr mit beiden Beinen auf der Erde steht, die revolutionäre Maria, die gelitten hat und die nicht still war. Nicht die betende, gehorsame, sich unterordnende Maria, sondern die kämpferische, die an der Seite ihres Sohnes stand, an der Seite der Frauen, diese Maria ist es, die die Befreiungstheologie hervorhebt.


Diese Sendung lief im Mai 2000 im Hessischen Rundfunk/hr2

offizielle NS Aparecida-Website (portugiesisch) · (Link prüfen) · Zeitungsartikel über NS Aparecida