Antje Schrupp im Netz

Die Lust an der Unterschiedlichkeit

Eine Einführung in den Differenzfeminismus der Italienerinnen

Affidamento und Autorität – die Lust an der Unterschiedlichkeit, ist das Thema meines Vortrags. Affidamento, sich anvertrauen, und Autorität sind Begriffe, die ein Verhältnis zwischen zwei Menschen beschreiben.

Was bedeutet es, sich einem anderen Menschen anvertrauen? Was bedeutet es, Autorität auszuüben oder bei einer anderen Autorität zu suchen und anzuerkennen?

Der Untertitel: »Die Lust an der Unterschiedlichkeit«, soll darauf hinweisen, daß Affidamento und Autorität in einer Beziehung nur sein kann, wenn die beiden, die da beteiligt sind, nicht gleich, sondern verschieden sind. Die Grundthese lautet: Die Verschiedenheit der Menschen ist kein Problem, kein Defizit, das nur zu Streit und Konkurrenz führt und dadurch durch diverse Gleichstellungsmaßnahmen (in der Politik oder im Kopf) abgeschafft werden muß, sondern sie ist Fülle, Reichtum, die Grundvoraussetzung für gelingende Beziehungen.

Das Thema Gleichheit und Differenz ist eine grundlegende Frage der Philosophie, und es gibt dabei viele Mißverständnisse, gerade hat es diese auch im Bezug auf den »Differenzfeminismus« der Italienerinnen gegeben, der Frauen um den Mailänder Frauenbuchladen und der Philosophinnengruppe »Diotima« an der Universität von Verona, in deren Denken ich Sie an diesem Vormittag ein bißchen einführen möchte.

Lassen Sie mich daher zunächst einige Vorbemerkungen zum Thema »Gleichheit und Differenz« machen. Das wichtigste dabei ist, zu verstehen, daß es sich dabei nicht um Gegensätze handelt, um ein entweder-oder. Die Philosophie weiß das eigentlich. Einer meiner Lieblingsphilosophen, Hegel, hat das sehr zutreffend, aber leider auch ziemlich unverständlich ausgedrückt. Er spricht von der Identität von Identität und Nicht-Identität. Das nennt er Dialektik.

Das heißt übersetzt also in etwa, Identität, also Gleichheit, und Nicht-Identität, also Differenz, sind identisch. In noch einfacheren Worten: Gleicheit und Differenz ist dasselbe. Wie soll man dieses Paradox verstehen?

Am Besten macht man sich das mit ganz alltäglichen Beispielen klar. Dann wird nämlich schnell einsichtig, daß das Nachdenken über Unterschiede nur Sinn macht, wenn die Sachen, über die ich spreche, in gewisser Weise gleich sind. Es macht zum Beispiel keinen Sinn, über den Unterschied zwischen Duschbrausen und Heidelbeeren zu reden. Aber ich kann über den Unterschied zwischen Heidelbeeren und Brombeeren sprechen und sagen, die einen eignen sich besser zum Marmelade-Einkochen, als die anderen – gerade deshalb, weil es sich beidesmal um Obst handelt. Andersrum macht es auch nur Sinn, über die Gleichheit von Dingen zu reden, wenn sie unterschiedlich sind. Zum Beispiel würden wir wohl niemals extra sagen, daß alle 1-Mark-Stücke gleich sind. Natürlich sind sie das. Es gibt aber Situationen, in denen dieser Satz Sinn macht: wenn ich zum Beispiel zwei Kindern jeweils eine Mark gegeben habe und das eine beschwert sich, daß es eine alte, verschmutzte Münze bekommen hat und das andere eine neue, glänzende. Dann sage ich zu den Kindern, das sind doch beides 1-Mark-Stücke, man kann sich für das eine soviel kaufen, wie für das andere.

Das heißt: Wenn ich sage, zwei Dingen sind unterschiedlich, sage ich damit zugleich auch, daß sie gleich sind, und wenn sage, zwei Dinge sind gleich, dann sage ich damit automatisch, daß sie unterschiedlich sind. Das gilt natürlich genauso, wenn von der Gleichheit bzw. der Unterschiedlichkeit von Menschen die Rede ist.

Es geht beim Thema Gleichheit und Differenz also nicht um die Frage, ob die Menschen gleich sind oder unterschiedlich, sondern es geht um die Frage, welche Bedeutung ich in einem bestimmten Zusammenhang ihrer Gleichheit und welche Bedeutung ich ihrer Unterschiedlichkeit gebe.

Die grundlegende Frage ist also, wie Beziehungen unter Menschen gestaltet werden angesichts der Tatsache, daß sie zugleich gleich und unterschiedlich sind.

1. – Das Verhältnis von Frauen und Männern

Die Frage, ob Frauen oder Männer nun gleich oder unterschiedlich sind, hat in unserer Kultur und Tradition schon immer eine entscheidende Rolle gespielt. Diese sogenannte »Querelle des Femmes«, die Frauenfrage, gab es seit dem Mittelalter – dort als Frage, ob auch Frauen eine Seele haben – und besonders dann natürlich im Zeitalter der Aufklärung, als die proklamierte Gleichheit der Menschen/Männer natürlich die Frage aufwarf, was denn nun mit den Frauen ist. In ihren Extremen treffen hier die beiden Positionen der totalen Gleichheit und der naturgegebenen, biologischen Unterschiede aufeinander: Die einen behaupteten, daß alle empirisch festzustellenden Unterschiede zwischen Frauen und Männern auf die Sozialisation, auf die Erziehung, auf das Patriarchat zurückzuführen seien und sie erklärten es zum Ziel feministischer Politik, diese Unterschiede abzuschaffen. Das Ziel wäre also eine Gesellschaft, die so egalitär ist, daß sich Frauen und Männer immer mehr einander angleichen, daß sie die gleichen Berufe wählen, die gleichen Einstellungen und Werte haben, die gleiche Kleidung tragen, die gleichen Lebenskonzepte wählen.

Die anderen behaupteten dagegen, daß Frauen von Natur aus, durch ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären etwa, anders als Männer seien. Ziel feministischer Politik wäre es dann, die Frauen aus den Zwängen des Patriarchats zu befreien und die Welt nach ihren, von denen der Männer grundsätzlich verschiedenen Bedürfnissen und Werten zu gestalten und, solange das nicht geht, wenigstens eigene Freiräume zu schaffen, in denen Frauen leben. Fordern die ersteren die totale Zusammenarbeit von Frauen und Männern, etwa durch Quoten, Frauenförderpläne, paritätische Besetzung von Gruppen, zwangsweise geteilten Erziehungsurlaub etc., so fordern die anderen separate Räume, etwa eine Frauenkirche, eigene religiöse Rituale, etc.

Die Diskussion um die Italienerinnen ist in Deutschland lange Zeit etwas schief gelaufen, weil diese zweite Position hier »Differenzfeminismus« genannt wurde, im Gegensatz zum »Gleichheitsfeminismus« der ersten Gruppe. Gleichheit und Differenz bezeichnet in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Frauen und Männern. Die Rede von der »Geschlechterdifferenz« bedeutet aber bei den Italienerinnen etwas völlig anderes.

Im Bezug auf die Tatsache, daß es Frauen und Männer gibt, tritt eine prinzipielle Differenz zutage, eine unreduzierbare Differenz. Frauen und Männer – das sind weder Gegensätze ist, noch etwas, das gleich ist, noch etwas Komplementäres, das sich gegenseitig ergänzt, wie zum Beispiel in den Vorstellungen von Yin und Yang. Bei der Tatsache, daß es Frauen und Männer gibt, geht es um einen Unterschied, der schlicht und einfach festzustellen ist, ohne daß sich aus dem einen das andere erklärt oder herleiten läßt.

Da heißt: Das Frau-sein läßt sich weder positiv noch negativ aus dem Mann-sein herleiten oder darauf zurückführen. Dies war vielmehr ein Charakteristikum des Patriarchats: Negativ wurde das Frau-sein als Nicht-Mann-Sein abgeleitet, positiv wurde es als Genauso-wie-der-Mann-sein abgeleitet. Beides hat nichts mit weiblicher Freiheit zu tun. Das Frau-sein bestimmt sich schlicht und einfach danach, was Frauen wollen und tun. Ob Männer dann dasselbe wollen und tun oder etwas anderes, ist vollkommen egal.

Die Unterschiedlichkeit der Frauen untereinander ermöglicht Beziehungen unter Frauen, die zur Grundlage der Politik werden und damit gewährleisten, daß Frauen sich zur Welt in eine Beziehung setzen können. Weibliche Differenz hat bei den Italienerinnen nichts mit dem Verhältnis der Frauen zu den Männern zu tun, sondern mit dem Verhältnis der Frauen zur Welt. Zu dieser Welt gehören natürlich auch Männer, aber für das Prinzip, nach dem die Beziehungen unter Frauen funktionieren, sind die Männer, das was sie sind und tun, völlig unerheblich.

Es macht also auf der abstrakten Ebene wenig Sinn, die Gleichheit von Männern und Frauen zu behaupten oder zu bestreiten. Die Frage, ob Frauen und Männer gleich sind, macht höchstens Sinn im Bezug auf eine dritte Fragestellung, die dann die eigentliche Fragestellung ist, also zum Beispiel ob Frauen in die Bundeswehr sollen, ob Männer auch Erziehungsurlaub nehmen dürfen, wie das Steuerrecht geregelt werden soll usw. Mit anderen Worten, die Frage nach dem Verhältnis von Männern und Frauen macht erst in dem Moment Sinn, wo sich die Frage stellt, wie die weibliche Differenz, wie also wir, wie eine Frau mit ihren Wünschen und Begehren und Absichten sich in ein Verhältnis zur Welt setzt. Das heißt, das Verhältnis zu den Männern wird in dem Moment ein Thema, wo sich die weibliche Differenz in der Welt äußert. Männer sind nicht das andere der Frauen, sie sind einfach ein Teil der Welt. Und mit dem Verhältnis der Frauen zur Welt beschäftige ich mich im vierten Teil des Vortrags.

2. Das Verhältnis einer Frau zu ihrer Mutter

Nicht das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ist im Denken der Italienerinnen der Ausgangspunkt für feministische Theorie, sondern eine andere Beziehung: Die zwischen Mutter und Tochter. Inwiefern kann das Verhältnis von Mutter und Tochter ein Grundbild menschlicher Beziehungen werden und etwas Prinzipielles über die Beziehungen unter Menschen aussagen?

Einmal gilt es – anders als das Bild vom großen heterosexuellen Paar – für alle. Wir alle sind Töchter einer Mutter. Die Beziehung zur Mutter ist die erste Beziehungserfahrung im Leben jeder Frau. Was macht nun eine Mutter? Mutter sein bedeutet, einem neugeborenen Menschen die Welt zu vermitteln.

Die Mutter ist die entscheidende Vermittlungsinstanz zwischen der Welt und dem Kind, sie gibt ihm Nahrung, sie zeigt ihm, was gefährlich ist und was nicht, was man tun und lassen soll, erklärt die Bedeutung der Dinge, sie bringt es in Kontakt mit anderen Menschen usw. Es gibt viele Wege dieser Vermittlung, reden, zeigen, spielen, Beispiel geben etc. Natürlich muß dies nicht unbedingt von der leiblichen Mutter geleistet werden. Es kann auch jemand anderes sein. Aber es ist dennoch sinnvoll, das Wort beizubehalten, um die Besonderheit dieses Verhältnisses anzuzeigen. Es kann sein, daß ein anderer Mensch in einem konkreten Fall an die Stelle der Mutter tritt. Aber er oder sie ist nicht einfach etwa der Vater oder eine »Bezugsperson«, sondern tritt dann eben an die Stelle der Mutter.

»Vermittlung« ist ein wichtiger Begriff im Denken der Italienerinnen. Er heißt, daß der Kontakt zwischen mir und der Welt niemals unmittelbar stattfinden kann, sondern immer über die Vermittlung anderer. Natürlich ist diese Tatsache kaum woanders so deutlich sichtbar, wie im Verhältnis von Mutter und Kind. Im Verhältnis von Mutter und Tochter springt die Bedeutung, die gerade die Unterschiedlichkeit der beiden Beteiligten hat, besonders ins Auge: Die Tochter, ein neugeborenes Kind, ist natürlich existenziell darauf angewiesen, daß die Mutter mehr weiß, mehr kann.

Worin genau besteht der Unterschied zwischen Mutter und Tochter? Es ist nicht nur der Unterschied im Wissen, also Sachkenntnisse und Fertigkeiten etc., ein Unterschied, der auch zum Beispiel zwischen Gebildeten und Ungebildeten, von jemand, der sich mit Computern auskennt oder eben nicht, zum Beispiel. Natürlich weiß und kann die Mutter mehr als die Tochter, aber das kann sich, wie gerade das Computerbeispiel zeigt, schon nach wenigen Jahren umkehren. Trotzdem aber bleibt die Mutter die Mutter, die Tochter die Tochter. Dieses Verhältnis ist nicht umkehrbar.

Der entscheidende Unterschied, der hier noch dazukommt, ist der Altersunterschied. Das Verhältnis von Mutter und Tochter begründet die Generationenfolge. In der Abfolge der Generationen kommt das Wissen,d ie Weisheit, aber auch die Resignatin der Älteren mit dem Leichtsinn,d em Elan und der Unerfahrenheit der Jugend zusammen. Mutter-sein schließt die Erfahrung der Niederlage ein, den Realismus, die Kenntnis der eigenen Grenzen. Tochter-sein dagegen bedeutet, noch intakte Wünsche zu haben, zu glauben, alles sei möglich, gerade deshalb, weil die Erfahrung der Niederlage noch nicht gemacht wurde. Mutter und Tochter repräsentieren so die beiden Arten, wie wir mit der Welt in Kontakt stehen: Wir haben unsere eigenen Wünsche an die Welt, wie sie sein soll und was wir in ihr wollen, aber die Welt richtet sich natürlich nicht so ohne weiteres nach unseren Wünschen. Wir müssen die Realität dabei in Betracht ziehen. Die Vermittlung zwischen diesen beiden Aspekten ist das entscheidende Merkmal der Mutter-Tochter-Beziehung.

Aus dem Verhältnis von Mutter und Tochter entwickelten die Italienerinnen das Konzept der weiblichen Autorität. Eine Frau, die wissen will, vertraut sich einer Frau an, die weiß. Das ist nicht dasselbe, wie wenn ich einen Computerexperten um Rat frage, wenn meiner kaputt ist. Es geht nicht einfach um Sachwissen, sondern es geht um ein Urteil, um die Erfahrung einer bestimmten Person, der ich mich anvertraue.

Wenn ich zum Beispiel eine Entscheidung treffen muß und nicht weiß, wie, kann ich eine andere um Rat fragen. Ich werde dabei nicht jede x-beliebige fragen, sondern eine, deren Autorität ich anerkenne, von der ich glaube, daß sie mir da helfen kann. Autorität bedeutet nun, daß ich, indem ich sie frage, mich bereits ihrem Urteil unterwerfe. Das heißt nicht, daß ich ihr blind folge, sondern daß ich freiwillig darin einwillige, ihr Urteil ernsthaft in Betracht zu ziehen. Und daß sie sich dieser Verantwortlichkeit auch bewußt ist und bereit ist, für ihren Rat einszustehen, die nicht nur einfach mich spiegelt und sich mit dem Hinweis aus der Affäre zieht, daß ich die Entscheidung letztlich ja doch selbst treffen muß.

Diese Art der Beziehung, einer Autoritätsbeziehung, haben wir alle als Töchter bereits in der Beziehung zu ihrer Mutter erlebt. Deshalb können wir sie später auch bei anderen Menschen suchen. So wird aus der mütterlichen Autorität weibliche Autorität – oder könnte es werden. Dagegen steht jedoch, daß wir sie nicht wertschätzen. Gerade die linke Geschichte, zusammen mit Psychoanalyse und anderen hat die Mutter symbolisch abgewertet. So wurde zum Beispiel sogar dieses Verhältnis, das ganz unbestreitbar seine Bedeutung in der Unterschiedlichkeit hat, in unserer Kultur auf den Gleichheitsaspekt hin interpretiert werden – zum Beispiel in der Rede, daß Mütter die »Freundinnen« ihrer Töchter sein sollen, etc.

Diese Form der Abwesenheit weiblicher Autorität ist oft in Freundinnenschaften zu beobachten: Wenn zum Beispiel eine Freundin mich immer wieder um Rat fragt, und ich sage ihr, was ich davon halte, fälle also ein Urteil, aber sie richtet sich nicht danach, nur um zwei Wochen später wieder vor demselben Problem zu stehen (meist noch mit dem einleitenden Satz, du hattest ja recht, aber…), dann heißt das, daß hier keine Autorität ist. Daß sie im Gespräch mit mir nur bedauert werden will oder Selbstbestätigung sucht.

Die Abwesenheit von Autorität bewirkt auch die Last der einsamen, unter der gerade viele Frauen leiden. habe ich kürzlich erst erlebt, als meine Mitbewohnerin nämlich überlegte, ob sie den Job wechseln soll: Wochenlang redete sie über nichts anderes, und zwar mit jeder und jedem, die oder der ihr über den Weg lief. Sie sammelte also wahllos Meinungen ein, und war natürlich am Ende so schlau wie vorher und sehr unglücklich, gestreßt und unsicher bei der Frage, ob ihre Entscheidung, zu kündigen, nun richtig war. Hätte sie um die weibliche Autorität gewußt, hätte sie vielleicht genauer überlegt, wen sie um Rat fragt, wer für sie Autorität hat.

Mir ist dabei auch klar geworden, welch eine enorme Belastung es für uns heute bedeutet, daß wir für alles in unserem Leben selbst und allein verantwortlich sind. Niemand kann uns unsere Entscheidungen abnehmen. Und niemand, den wir fragen, gibt uns einen rechten Rat, ein Urteil, und ist dann später auch bereit, die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen. Es ist üblich geworden, immer nur die eigene Meinung zu sagen, mit einem großen Aber und ganz unverbindlich. Und wir erwarten auch schon gar nichts anderes mehr. Die einsamen Ritter in der bösen Welt. Weibliche Autorität in der Welt könnte uns daher auch mehr ein Stück Sicherheit geben, uns die Last der Alleinverantwortlichkeit ein wenig erleichtern.

Das hat überhaupt nichts damit zu tun, nun irgend einer Frau, etwa meiner Mutter, blinden Gehorsam zu versprechen und mir nicht mehr meine eigene Meinung zu bilden. Ganz im Gegenteil. Die Verschiedenheit unter Frauen bringt ja nicht nur Urteile und Autoritätsbeziehungen hervor, sondern sie ist auch die notwendige Voraussetzung dafür, daß ich meine eigene Position in der Welt finde. Meine Individualität gewinne ich dadurch, daß ich anders handle als andere handeln, daß ich etwas sage, das sich in Widerspruch setzt zu dem, was andere sagen. Daß ich mich von anderen unterscheide. Dazu braucht es aber Positionen und Urteile, die sich auch aneinander reiben. Wenn alle nur unverbindlich ihre subjektiven Meinungen haben, dann ist auch keine Individualität möglich, kein Protest, keine Auseinandersetzung weil alles ja so wabbelig-harmlos ist, eben im wahrsten Sinne des Wortes gleich-gültig, man könnte auch sagen scheißegal.

Wenn von Autorität die Rede ist, dann wird oft ein Hilfskonstrukt eingeführt, um den Begriff die Schärfe zu nehmen, nämlich die Rede von der wechselseitigen Autorität, daß es einmal die ist und einmal die andere. Das verwechselt das Konzept aber wieder mit Sachkompetenz. Autorität ist nicht Gleichheit, ist nicht beliebig, es ist ein Wort, das ein Verhältnis zwischen Ungleichen beschreibt, das nicht umkehrbar ist. Autorität ist aber dennoch das Gegenteil von Macht. Macht beruht auf formalen Strukturen. Macht hat jemand, ein König, ein Polizist, ein Lehrer vielleicht. Autorität entsteht aus der Beziehung – ich kann Autorität nur haben, wenn sie von einer anderen Frau gesucht, anerkannt wird. Andererseits kann ich Autorität bei einer anderen nur anerkennen, wenn sie auch bereit ist, ein Urteil zu fällen, eine Position zu beziehen. Für beide Seiten steht dabei also die Beziehung im Mittelpunkt. Macht wird durch äußere Strukturen definiert, durch Geld, Entscheidungskompetenzen, Rangstellung. Autorität braucht die freiwillige Anerkennung. Wenn Macht ins Spiel kommt, verschwindet sie meistens.

3. – Das Verhältnis einer Frau zu anderen Frauen

Die Frauenbewegung und der Feminismus haben lange Zeit den Eindruck erweckt oder vielleicht auch selbst daran geglaubt, daß es ein kollektives »Wir« der Frauen gäbe, deren Interessen man vertreten müsse. Damit ist sie gewissermaßen dem Patriarchat auf den Leim gegangen, denn aus der Perspektive der Männer – und nur aus dieser – sind alle Frauen gleich. Wie schon zuvor im Patriarchat wurde nun also auch in der Frauenbewegung (beziehungsweise in ihrem »reformistischen«, medienwirksam auftretenden Flügel, diese Kritik gilt bei genauerem Hinsehen nicht für die gesamte Frauenbewegung) viel darüber nachgedacht, was die Frauen wollen, können, sollen und so weiter. Nur daß sie jetzt was anderes sollten: nicht mehr Hausfrau sein, sondern Karriere machen zum Beispiel. Das heißt, das Verhältnis zwischen Frauen wurde vor allem als Gleichheit definiert. Wenn zum Beispiel eine Frau von ihrer Erfahrung berichtet hat, dann konnte sie zuweilen den Einwand hören, sie sei da aber etwas besonderes und das könne sie jetzt nicht so für alle Frauen verallgemeinern. Als »frauenspezifisch« oder »feministisch« wurden also Positionen verstanden, die potentiell für alle Frauen gelten können.

Gleichzeitig gab es aber von Beginn an einen großen Widerwillen vieler Frauen gegen dieses »wir«. Sie wollten sich nicht von irgendwelchen Definitionen des Frau-Seins in ihrem persönlichen Handeln einschränken oder bestimmen lassen. Dagegen haben sie protestiert, indem sie von sich als Individuum sprachen, sie sagen das nicht »als Frau«, sie sind keine Emanzen, keine Feministinnen. Das sind alles Versuche, die eigene Position im Meer des diffusen Weiblichen nicht untergehen zu lassen.

Das Problem ist folgendes: Einerseits können wir nicht inhaltlich festlegen, was eine Frau ist, was typisch weiblich ist usw. – weder ist die Frau von Natur aus friedliebender, noch ist sie intelligenter, noch dümmer, noch kleiner, noch schwächer, noch stärker etc. Und selbst wenn es so wäre (und es gibt ja derzeit in den USA wieder ein ansteigendes Interesse an Forschungen in diese Richtung), wäre das völlig unerheblich. Weil es für die einzelne nämlich vollkommen egal ist, was der Durchschnitt der Frauen macht. Wir können also inhaltlich nichts darüber sagen, was das »Weibliche« ist.

Was wir aber sagen können ist, daß es das gibt, das Weibliche. Ich denke, jede von uns, jede Frau kann sagen, daß ihr Frau-sein für ihr Leben eine Rolle spielt, daß es nicht bedeutungslos ist – auch wenn sie vielleicht nicht sagen kann, welche Rolle es spielt und welche Bedeutung es hat, weil sie damit befürchten muß, wieder in den Sog des »alle Frauen sind so« zu geraten.

Genau das ist aber die Frage, um die es, philosophisch gesprochen, beim Denken der Italienerinnen geht: Um die Frage, welche Bedeutung hat mein Frau-sein für mich, für mich als einzelne Frau.

Mir hat der Ausdruck geholfen: »Meine persönliche Differenz als Frau in der Welt«. Diese Frage ist der Ausgangspunkt, die Grundlage für alles andere – für die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach meinem Verhältnis zu Gott, für meine Wünsche, die Welt zu verändern, für die Frage, was ich mit meinem Leben tun will und so weiter. Und sie führt weiter zu der Frage, welche Bedeutung die weibliche Differenz, also die Tatsache, daß es Frauen gibt, für die Welt hat, für die Politik, für die Philosophie, für die Wirtschaft und so weiter.

Sich diese Frage zu stellen, ist gar nicht so einfach. Denn wir leben in einer Kultur, die in ihrer Philosophie, in ihrer Religion, in ihrer Politik etc. nicht damit gerechnet hat, daß es Menschen gibt, die Frauen sind. Gerade in den letzten dreißig Jahren, aber auch schon früher haben viele Frauen diese androzentrische Engführung unserer Kultur analysiert und kritisiert.

Die Italienerinnen nennen das symbolische Unordnung. Das heisst, daß die weibliche Differenz aus unserer Kultur systematisch ausgeschlossen wurde. Sie wurde ausgeschlossen, indem das Frau-sein als bedeutungslos gewertet wurde, oder indem es inhaltlich festgelegt wurde als das andere des Mann-seins. »Ich bin eine Frau« – was das heißt, dafür gibt es in der patriarchalen Kultur keine Worte, keine Symbole, keine Sprache, keinen Sinn. (Sobald wir selbst uns diese Frage stellen, entdecken natürlich immer mehr, daß es sie doch gibt und auch immer schon gegeben hat, etwa bei Denkerinnen in der Geschichte, aber dies ist nur ein Beweis dafür, daß das Patriarchat nicht jetzt erst zu Ende geht, sondern immer schon – auch – zu Ende war). Es geht darum zu lernen, zu sagen »Ich bin eine Frau«.

Der Ausschluß der weiblichen Differenz aus unserer Kultur ist kein faktischer, denn ohne die Frauen hätte sich unsere Kultur niemals so entwickelt, wie sie es hat, sondern ein symbolischer. Es gibt die weibliche Differenz, es hat sie immer gegeben, aber man kann darüber nicht sprechen. Die symbolische Unordnung, in der wir gelebt haben und aufgewachsen sind, bewirkt, daß Frauen sich fremd fühlen in der Welt, daß die Sprache, die Erklärungsmuster, die Werte, die Moral irgendwie nicht passen, nicht stimmen.

Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Auch heute, wo die bürgerliche Diskriminierung der Frauen größtenteils überwunden ist, ist das Unbehagen der Frauen an der Welt geblieben. Nicht diskriminiert zu werden, heißt nicht automatisch, die eigene Differenz als Frau in der Welt zur Sprache bringen zu können oder sich in ihrer Bedeutung bewußt zu machen – im Gegenteil, manche sogenannten Erfolge des Gleichheitsfeminismus sind in dieser Hinsicht sogar kontraproduktiv, wenn sie den Frauen nämlich, wenn auch mit anderer Begründung, nach wie vor sagen, daß ihr Frau-sein nun keine Bedeutung hätte.

Was wäre nun eine neue symbolische Ordnung, eine Sprache, die der weiblichen Differenz angemessen ist? Wie können wir eine Sprache, eine Welt schaffen, eine Sprache, die der Welt angemessen ist, die unseren Wünschen und Begehren einen Raum gibt?

Wir können dafür eigentlich nur auf zwei Dinge zurückgreifen, weil es die einzigen sind, deren wir uns sicher sein können: Unsere eigenen Erfahrungen, das, was wir persönlich in der Welt erleben und entdecken, und die Gewißheit, daß wir Frauen sind und daß es andere Frauen gibt. Die Italienerinnen nennen das »partire da se«, von sich selbst ausgehen. Wohlgemerkt: Von sich selbst – ausgehen. Das heißt also nicht, bei sich selbst stehenbleiben, bloße Selbsterfahrung und Selbstspiegelung betreiben. Von den eigenen Erfahrungen gehen wir aus, indem wir sie als Schlüssel benutzen zur Welt und zu ihrer Bedeutung.

Meine eigenen Erfahrungen allein genügen dafür aber nicht. Für sich genommen können sie mir keine Antwort geben auf die Frage: »Was bedeutet es für mich, eine Frau zu sein?« denn sie sind zunächst rein subjektiv. Damit diese meine Erfahrungen und Überlegungen in der Welt Wirkung entfalten können, muss ich sie der Konfrontation mit anderen Frauen aussetzen. Welche Bedeutung mein Frau-sein für mich hat, das bekomme ich nur heraus, wenn ich mich in Beziehung zu anderen Frauen setze (philosophisch gesprochen, in Wahrheit bin ich ja schon längst in diesen Beziehungen von dem Zeitpunkt an, an dem mich meine Mutter zur Welt gebracht hat).

Praktisch geht es darum, daß ich meine Beziehungen zu anderen Frauen, als die Orte, wo mein persönliches Erleben mit der Welt in Kontakt kommt, zum Zentrum meines Denkens und Handelns mache. Und zwar nicht meine Beziehung zu allen anderen Frauen, zu jenem imaginierten »Wir« des großen Frauenkollektivs, sondern zu konkreten anderen Frauen. Um eine neue symbolische Ordnung zu schaffen, ist also meine persönliche Erfahrung notwendig zusammen mit der Beziehung zu mindestens einer anderen Frau.

Das ist mit dem Wort »Affidamento«, sich anvertrauen, gemeint. Das Wort kommt im grünen Sottosopra vor, einer wichtigen Flugschrift des Mailänder Frauenbuchladens. Wichtig ist, daß es nicht falsch verstanden wird – nämlich als harmonisierend, als Schlagwort für die Solidarität des Frauen-Wir-Kollektivs, wo sich alle in ihrem Mittelmaß gegenseitig bestätigen, sondern daß es in dem Zusammenhang verstanden wird, den ich eben beschrieben habe: Indem ich meine Beziehung zu Frauen ins Zentrum stelle, vertraue ich mich der anderen Frau an, indem ich weiß, ich brauche nichts anderes als meine eigene Erfahrung und die Beziehung zu ihr, um mich in der Welt zurechtzufinden. Ich brauche dazu nicht das Lob meines Chefs und nicht den Segen der Frauenbewegung. Nur meine eigene Erfahrung und die konkrete Beziehung zu mindestens einer anderen Frau.

Sich an-vertrauen kann dabei durchaus im Wortsinn verstanden werden. Das Prinzip funktioniert so: Ich mache eine Erfahrung, ich erlebe etwas, und dies vertraue ich dann einer anderen Frau an. Also, ich erzähle ihr davon. Und ich erzähle ihr dann auch, was ich mir dabei denke, wie ich mir die Situation erkläre, wie ich sie interpretieren. Und mit dieser anvertrauten Erfahrung macht die andere Frau dann etwas. Sie bestätigt sie, weil sie schon dasselbe erlebt hat, oder sie sagt, so etwas hätte sie noch nie erlebt, sie bestätigt mich in meinem Urteil oder sie erklärt es für völligen Quatsch, wie auch immer – indem ich meine Erfahrung einer anderen Frau anvertraue, indem ich sie ihr erzähle, lasse ich sie in der Welt zirkulieren und sie wird so ein Teil der Welt. Das alles geschieht sowieso. Es geht also nicht darum, irgend etwas groß zu verändern am eigenen Alltag. Sondern es geht darum, zu verstehen, das das, was ohnehin geschieht, das Wichtige ist.

Affidamento, also die Beziehungen unter Frauen zum Zentrum des eigenen Denkens zu machen, befreit uns aus der falschen Alternative, daß meine Erfahrungen, mein Ich, meine Urteile und Analysen entweder nur subjektiv bei mir bleiben, oder aber, wenn ich sie äußere, sofort in das vorgegebene Raster der männlichen symbolischen Unordnung fallen. Ich muß meine sexuelle Differenz nicht an dem dubiosen Weiblichen an und für sich messen, sondern es genügt, wenn ich sie an einer anderen Frau messe. Nur so kann auch Individualität entstehen, die vielen Frauen, die sich nicht Feministinnen nennen wollen, zu recht so wichtig ist. Affidamento heißt, daß ich sie anderen Frauen anvertraue, und daß wir so durch diese Beziehung eine neue symbolische Ordnung schaffen.

4. – Das Verhältnis einer Frau zur Welt

Die Italienerinnen haben vor drei Jahren das Ende des Patriarchats gefeiert. Sie haben gesagt, das Patriarchat ist zu Ende. Was heißt das? Es heisst sicherlich nicht, dass die ganzen Probleme, mit denen wir so lange beschäftigt waren, jetzt plötzlich alle weg sind. Es heisst nicht, dass Frauen nicht mehr benachteiligt werden, dass sie jetzt genausoviel Geld hätten wie die Männer, dass es keine Vergewaltigungen gäbe usw. Obwohl man doch feststellen muss, dass sich in dieser Hinsicht schon vieles gebessert hat. Aber damit hängt es nicht zusammen, dass das Patriarchat zu Ende ist.

Das Ende des Patriarchats ist eine Folge davon, daß die Frauen sich selbst, durch die Arbeit an den Beziehungen zu anderen Frauen, in das Zentrum der Welt gestellt haben. Das heißt, sie glauben nicht mehr an die Regeln und Werte des Patriarchats, sie glauben nicht mehr daran, daß sie weniger wert sind und weniger können als die Männer. Damit ist das Patriarchat zu Ende, nicht weil irgend eine Politik oder gar die Männer es abgeschafft hätten, sondern weil die Frauen einfach nicht mehr daran glauben.

So gesehen war das Patriarchat übrigens schon immer zu Ende: Weil es nämlich immer schon Frauen gab, die nicht daran glaubten. Jetzt ist es aber zum ersten Mal auf eine Weise zu Ende, die soziologisch, also gesamtgesellschaftlich, sichtbar wird. Nicht mehr einzelne Frauen, sondern nahezu alle Frauen, jedenfalls in unserer Kultur (vermutlich aber auch in den meisten anderen Gegenden der Welt), haben dem Patriarchat die Gefolgschaft gekündigt. Vom Ende des Patriarchats zu reden ist also sowohl eine chronologische Aussage, als auch eine logische. Sie markiert einen geschichtlichen Zeitpunkt, aber sie beschreibt auch einen Wendepunkt in der persönlichen Geschichte einer Frau. Oder: Seit ich mir darüber klar geworden bin, daß das Patriarchat zu Ende ist, denke ich anders und nehme ich die Welt anders wahr.

Mit dem Ende des Patriarchats hören die Aufgaben des Feminismus, der Frauenbewegung nämlich keineswegs auf (auch wenn manche frauenbewegten Frauen das zu glauben scheinen, denn anders ist es gar nicht zu verstehen, warum sie so verbissen weiter behaupten, dass sich am Patriarchat noch gar nichts geändert hätte). Im Gegenteil: Mit dem Ende des Patriarchats fängt unsere Aufgabe gerade erst an: Im Patriarchat hatten wir nur zu reagieren. Wir hatten ja nichts zu sagen, wir hatten keine Macht, wir hatten keine Bildung. Deshalb hatten wir auch keine Verantwortung, außer der, für unsere eigenen Interessen einzutreten. Zwischen uns und der Welt standen die Männer, standen unsere Unterdrücker, standen die Diskriminierungen, die Hindernisse des Patriarchats. Zwischen uns und Gott standen die männlichen Priester. Nun ist da nichts mehr, wir müssen uns selbst direkt mit der Welt auseinandersetzen. Und genau dies ist die Aufgabe des Feminismus: Feminismus hat nicht nur mit einem Teilbereich der Welt zu tun, also mit »frauenspezifischen« Themen, sondern sie betrifft die Welt als Ganze. Oder anders gesagt: Wir geben uns nicht damit zufrieden, die Situation der Frauen zu verbessern. Sondern es geht darum, durch das Denken der sexuellen Differenz und das Stärken weiblicher, mütterlicher Autorität eine Ordnung zu schaffen, die den Herausforderungen der Welt angemessen ist, die in der Lage ist, die Probleme, mit denen die Menschen heute konfrontiert sind, zu lösen und mit ihnen umzugehen.

Das Ende des Patriarchats ist nämlich nicht nur Anlaß zur Freude, sondern auch eine sehr schwierige Angelegenheit. Denn die alten Ordnungen, so ungerecht und unangemessen sie auch waren und sind, so haben sie doch die Welt in gewisser Weise strukturiert und zusammengehalten. Wenn sie aufhören, muß dringend etwas anderes an ihre Stelle treten.

Das ist die Bedeutung der sexuellen Differenz in der Welt – sie ermöglicht uns, die Welt anders wahrzunehmen und damit auch, sie anders zu gestalten, indem wir selbst uns anders verhalten und Dinge verändern. Bei der Politik der Frauen geht es nicht um das Abschaffen von Diskriminierung, um das Durchsetzen von Quotenregelungen und so weiter, nicht einmal allgemeine rum das Schaffen von weiblicher Freiheit, sondern darum, daß die sexuelle Differenz Ordnung schaffen kann in einer Welt, die – wie alle überall sagen – in Unordnung geraten ist, und die droht, aus den Fugen zu geraten. Anders gesagt: Weibliche Freiheit ist nicht das Ziel unseres politischen Handelns, sondern im Gegenteil die Voraussetzung dafür, daß wir handeln können. Die Arbeit der sexuellen Differenz ist keine Interessensvertretung der Frauen, sondern es ist eine Arbeit für die Welt.

Inwiefern kann nun das Denken der Geschlechterdifferenz, die neue symbolische Ordnung, die aus den Beziehungen unter Frauen und das Stärken weiblicher Autorität etwas zur »großen Politik«, zum Wohlergehen aller Menschen beitragen?

Natürlich geht es nicht darum, daß »Die Frauen« irgendwie besser oder friedfertiger oder sonstwas sind, als die Männer, sondern es geht darum, daß das Denken der Geschlechterdifferenz eine Alternative bietet zur symbolischen Unordnung, die das männliche Denken nicht lösen kann.

Insofern kann ich Ihnen hier nun auch nicht eine Liste von vorgegebenen politischen Positionen, denn es geht ja nicht um eine ideologische Position, sondern eher um eine Methode, um eine Herangehensweise, die dann auch zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen führen kann. Wichtig ist es dabei vor allem, die Ereignisse ernst zu nehmen. Also nicht mit einer vorgegebenen Theorie an die Wirklichkeit heranzugehen, sondern genau hinzuschauen und dann zu urteilen – indem ich meine Erlebnisse durch die Beziehung zu anderen Frauen in der Welt zirkulieren lasse.

Aber aus den Diskussionen und Arbeiten der letzten Jahre hat sich schon einiges herauskristallisiert, vor allem die Kritik am Subjekt-Objekt-Gegensatz der männlichen Philosophie. Frauen sind, anders als Männer, von klein auf darin geübt, sich selbst als einen Teil der Welt zu sehen und gleichzeitig als ein Subjekt, das von der Welt getrennt ist. Zum Beispiel können Frauen in einem Text, der nicht die inklusive Sprache benutzt, ganz selbstverständlich unterscheiden, wann sie »mitgemeint« sind und wann nicht. Männer haben diese Fähigkeit selten. Vielleicht ist es Ihnen schon einmal aufgefallen, wie schnell sie irritiert sind, wenn nicht eindeutig ist, ob sie »mitgemeint« sind oder nicht, das heißt, wenn nicht klar ist, ob sie Subjekt oder Objekt sind.

Die Auflösung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes, der ein Ergebnis des Denkens der Geschlechterdifferenz ist, birgt eine Vielfalt von Möglichkeiten, anders an die Welt heranzugehen:

  • Zum Beispiel hat er zu einer Wiederentdeckung der Mystik geführt. Die innere Schau als eine Form der Erkenntnis, die nicht auf dem Gegensatz des Ich und der Welt aufbaut, sondern gerade durch die Aufgabe des Ichs fähig ist, so etwas wie göttliche Ordnung zu erkennen. Hier beziehen sich die Italienerinnen vor allem auf Teresa von Avila.

  • Wer nicht vom Subjekt-Objekt-Gegensatz ausgeht, betreibt Politik nicht als die Ausübung instrumenteller Vernunft, die glaubt, das menschliche Zusammenleben sei machbar, indem wir einfach die entsprechenden Mittel anwenden. – Beispiel Kosovo-Krieg.

  • Politischer Widerstand definiert sich im Denken der Geschlechterdifferenz nicht mehr durch die Radikalität, mit der man dem Bösen entgegentritt. Es geht nicht darum, die Welt meinen Wünschen anzupassen, sondern darum, meinen eigenen Ort in der Welt einzunehmen – wenn das Ich immer schon ein Teil der Welt ist, dann verändert sich die Welt, wenn ich mich verändere.

  • Vortrag am 29.7.1999 bei der Frauen-Sommerakademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten/Württ.

  • veröffentlicht leicht gekürzt in: Katholischer Deutscher Frauenbund, Diözesanverband Augsburg e.V. (Hg): Frauenkultur Machtvoll und Weise. Werkbuch zum Jahresthema 2002, mail: frauenbund-augsburg@t-online.de.