FrauenKirchenManifest

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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FrauenKirchenManifest zur aktuellen Lage der Welt

1. Überall auf der Welt bringen Frauen Kinder zur Welt und sorgen durch alltägliche fürsorgliche und weltvermittelnde Tätigkeiten dafür, dass sie zu gesellschaftsfähigen Erwachsenen heranwachsen. Überall auf der Welt bebauen Menschen den Boden und sorgen dafür, dass das Zusammenleben gelingt. Überall auf der Welt stellen Menschen nützliche Dinge her und leben vom Austausch ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Ressourcen. Zivilisation in diesem elementaren Sinne ist ein weltweites Phänomen. Deshalb wenden wir uns gegen die derzeit verbreitete Auffassung, die Welt zerfalle in klar abgrenzbare zivilisierte und unzivilisierte Sphären bzw. gar in ein Reich des Guten und ein Reich des Bösen. In allen Kulturen gibt es lebensfördernde und lebenshindernde Traditionen und Verhaltensweisen. In der aktuellen politischen Weltsituation erweisen sich als lebenshindernd insbesondere die Praktiken eines sozial kalten Kapitalismus, terroristische Akte, technologische Hochrüstung, der rücksichtslose Umgang mit natürlichen Ressourcen, die Unfähigkeit, Fremdheit zu ertragen und die Dynamik von Rache und Vergeltung. 

2. Das zivilisatorische Werk der Frauen ist traditionell auf das Wohlergehen einzelner Menschen und Menschengruppen in häufig familiären Zusammenhängen konzentriert. In den meisten Kulturen bestehen zudem mehr oder weniger rigide Verbote für Frauen, sich öffentlich und politisch zu artikulieren. Ihre Interessen, ihre Maßstäbe und ihr Beitrag zum gelingenden Zusammenleben werden häufig systematisch abgewertet und negiert. Dennoch gilt, dass keine menschliche Kultur ohne die alltäglich sinnstiftenden und lebenserhaltenden Tätigkeiten der Frauen überleben könnte. So liegt es durchaus im Kalkül kriegerischer Aktivitäten, dass sie im allgemeinen mit dem stillschweigenden Tun insbesondere der Frauen im Hintergrund rechnen. Deshalb treten wir dafür ein, dass Frauen und andere, die sich primär an der Pflege des konkreten Zusammenlebens orientieren, weltweit aus ihrer Hintergrundexistenz heraustreten und ihre alternativen Maßstäbe für gutes Zusammenleben öffentlich zu Gehör bringen. Wir sehen darin eine weltweite friedenspolitische Perspektive, die bereits praktiziert wird und verstärkt wahrgenommen und gelebt werden muss. 

3. Als Frauen westlicher Gesellschaften anerkennen wir die Freiheiten, die unsere Vorfahrinnen für uns erkämpft haben. Diese Freiheiten werden uns heute in Form gleichberechtigter Teilhaberechte von Frauen und Männern am privaten und öffentlichen Leben zugestanden. Wir erkennen aber heute, dass das Ziel der Frauenbewegungen noch nicht erreicht ist. Frauen haben sich zwar formale Gleichberechtigung innerhalb einer Kultur erkämpft. Gleichwohl werden die nach wie vor traditionell Männern zugeschriebenen Tugenden und Konfliktlösungsmodelle als letztlich allein wirksame Lösung weltweiter Konflikte dargestellt: Konkurrenzkampf, dualistisches Denken, Krieg und andere Dominanzmechanismen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Werte, die sich im Rahmen des zivilisatorischen Werkes der Frauen herausgebildet haben, im öffentlichen Leben zur Geltung kommen. Sie können von Männern wie Frauen gleichermassen praktiziert werden: Respekt vor den Anderen, Vorrang konkreter Fürsorge vor der Durchsetzung allgemeiner Prinzipien, Bewusstsein der Verletzlichkeit und Bedürftigkeit aller Menschen, Zuhörbereitschaft, Geduld. 

4. Religion ist ein Teil jeder menschlichen Zivilisation. Religiös zu sein bedeutet, Wirklichkeiten anzuerkennen, die jenseits der Verfügungsmacht Einzelner liegen. Diese eröffnen Sinn, ihnen gebührt Respekt. In der Konsequenz dieser elementar religiösen, nicht konfessionsgebundenen Einstellung liegt es, anderen Menschen, Kulturen und Lebensformen Raum zur Entfaltung zu lassen. Niemand kann über das Gute als solches verfügen. Vielmehr bedeutet Religiosität in diesem Sinne eine grundsätzliche Offenheit für Überraschungen, neue Einsichten, Konflikte und Offenbarungen, die vom unverfügbaren Anderen ausgehen. Es liegt im Wesen dieses unverfügbaren Anderen (der Gottheit, dem Göttlichen), dass es für keine Zwecke verfügbar gemacht werden kann. Ein solches Verständnis von Religion schliesst deshalb aus, dass Einzelne sich anmassen, andere Menschen abzuwerten, zu gefährden oder zu töten. Auch das Christentum ist in seiner Geschichte immer wieder dieser Gefahr erlegen. Wo das unverfügbare Andere im Sinne dogmatischer Lehrsysteme eindeutig festgelegt wird, wird es tendenziell vereinnahmt und missbraucht, z.B. auch in der jahrhundertlangen Vereinnahmung des Christentums durch das Patriarchat.

5. Überall auf der Welt ist das Begehren von Frauen, sich selbst und miteinander die Welt zu bewegen, spürbar. Nirgendwo ist der Einsatz unterschiedlicher Kräfte für ein gutes Leben aller Menschen gänzlich zum Stillstand zu bringen. Im Schatten der scheinbar allmächtigen patriarchalen Ordnung sind die Zeichen einer anbrechenden neuen Ordnung nicht zu übersehen. US-Amerikanerinnen sprechen sich ? auf der Straße, in Kirchen, inZeitungsartikeln und auch im Kongress - gegen den Rachefeldzug ihrer Politiker aus. Frauen in Afghanistan hören nicht auf, die Welt über die Vorkommnisse in ihrem Land, die Entrechtung von Frauen, aber auch über deren Stärke zu informieren.  Unermüdlich und unter widrigsten Umständen arbeiten sie an der Aufrechterhaltung von zumindest einem Minimum an Bildung, Gesundheitsvorsorge, Kleidung, Nahrung und würdiger Unterkunft und für eine demokratische Zukunft ihres Landes, die auch Frauen öffentliche und politische Partizipation ermöglicht. In Israel und Palästina, wie auch im ehemaligen Yugoslawien, haben Frauen über Jahre hinweg bewiesen, dass der gemeinsame Einsatz für ein friedliches Zusammenleben auch über tiefe Gräben und Grenzen hinweg möglich ist. 

Wir, religiöse und feministische Frauen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und vielen anderen Ländern, unterstreichen mit diesem Manifestunsere Verbundenheit mit all jenen, die überall auf der Welt neuem denken und Handeln zum Durchbruch verhelfen. Unser gemeinsamer Reichtum liegt in unserem Glauben an das scheinbar Unmögliche und in der Kraft unseres Begehrens eines guten Lebens für alle Menschen. Er liegt in der Fähigkeit, den eigenen Wahrnehmungen, unserem Verstand und unseren Gefühlen zu trauen und die Grenzen der menschlichen Machbarkeit anzuerkennen. Er liegt in unserer Bereitschaft miteinander und voneinander zu lernen, radikal ehrlich und dabei äußerst achtsam miteinander umzugehen, im Vertrauen auf jene Macht, die in und aus Beziehungen erwächst. Wir werden auch weiterhin verschwenderisch damit umgehen! 

November 2001

Kontaktadresse:
Frauenstudien- und bildungszentrum der EKD
Dr. Herta Leistner
Herzbachweg 2
D 63571 Gelnhausen
Fax +49 6051 89287,  e-mail fsbz.leistner@ecos.net

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