Antje Schrupp im Netz

Vielfalt wagen!

Die 2. Europäische Frauensynode in Barcelona (5.–10. August 2003)

Bild

»Sonne, erleuchte meine Seele, erleuchte mein Herz« – diese Bitte wurde den Frauen in Barcelona fast schon überreichlich erfüllt. Doch auch von brütender Hitze ließen sich die Teilnehmerinnen der 2. Europäischen Frauensynode nicht den Spaß an ihrem Großtreffen nehmen. Synodenpräsidentin Antje Röckemann:

Wir haben verschiedene Ideen, Methoden entwickelt, damit diese Begegnung wirklich stattfinden kann. Dass wirklich ganz unterschiedliche Frauen aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Religionen sich treffen, eine slowakische Jüdin vielleicht mit einer altkatholischen Niederländerin, eine evangelische Basisfrau aus Österreich mit einer Katholikin hier aus Spanien, eine Lesbe aus Norwegen mit einer heterosexuellen Frau aus Bulgarien, denn die persönliche Begegnung ist einfach das, was uns verändert und was unsere Meinungen und unser Wissen über einander verändern kann und ist durch nichts zu ersetzen, auch wenn ich noch so viel lese und studiere.

Aus 36 Ländern waren sie gekommen, religiös engagierte Frauen aus vielen verschiedenen Kirchen und Konfessionen. Neben den gastgebenden Spanierinnen stellten die Deutschen die größte Gruppe, gefolgt von den Österreicherinnen, die vor sieben Jahren die 1. Europäische Frauensynode ausgerichtet hatten. Viele Teilnehmerinnen kamen auch aus Italien und den Niederlanden, sowie aus fast allen west- und osteuropäischen Ländern, einige waren sogar aus den USA, aus Südamerika, aus Afrika oder Indien angereist. Sie kamen aber nicht als Repräsentantinnen ihrer jeweiligen Kirche, ganz bewusst verzichtet die Frauensynode auf das Delegationsprinzip.

Bild Wir benutzen diesen Begriff Synode eben in seiner wörtlichen Bedeutung und Synode heißt eben wörtlich: Miteinander auf dem Weg. Wir haben eine Vision von einer Welt, die anders ist und sein sollte, als sie nun leider gegenwärtig ist und das verbindet uns. Und wir wollen da wirklich das Verbindende herausfinden und betonen in Respekt vor unseren Unterschieden. Und so verstehe ich wirklich den Unterschied dieser Synode, der Europäischen Frauensynode, zu normalen Kirchensynoden, wir versuchen wirklich miteinander in einen Prozess zu kommen, wir gehen nicht davon aus, dass bestimmte Dinge schon entschieden sind, auch nicht konfessionelle Fragen oder religiöse Fragen, sondern da kommen wir wirklich miteinander ins Gespräch und lernen unglaublich viel voneinander.

Entsprechend wenig Bedeutung hatten aktuelle kirchenoffizielle Positionen wie etwa das jüngste Papier aus Rom gegen homosexuelle Partnerschaften oder die Bedenken der Evangelischen Kirche in Deutschland gegen gemeinsame Gebete von Christen und Muslimen. Sie ernteten in Barcelona hauptsächlich Kopfschütteln. Dass es im interreligiösen Gespräch nicht darauf ankommt, Positionen zu klären oder gar voneinander abzugrenzen, betonte etwa die Londoner anglikanische Pfarrerin Rose Hudson Wilkin:

Wir müssen uns mehr auf die Dinge konzentrieren, die wir miteinander gemeinsam haben. Das heißt nicht, dass wir einen großen Schmelztiegel bilden sollen, in den wir alle eintauchen, und wenn wir wieder herauskommen, kann man uns nicht mehr voneinander unterscheiden. Wir brauchen unsere Unterschiede, wir müssen am Ende des Tages immer noch wissen, wer wir sind und woher wir kommen, und die anderen auch. Aber ich glaube, wir müssen uns zueinander in Beziehung setzen, müssen uns wirklich miteinander verbinden und aufeinander einlassen, auf eine kreative Art und Weise.

Und so war das Motto der Frauensynode, »Daring diversity«, Vielfalt wagen, zugleich auch eines der großen Schwerpunktthemen. Denn der politische Umgang mit Differenzen, die Frage, wie sich eine pluralistische Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen und Religionen aufbauen lässt, in der die Unterschiede nicht verwischt werden, aber auch nicht länger zu Diskriminierung und Unterdrückung führen, ist eine der großen Herausforderungen für die Zukunft Europas. Dass es dabei nicht um ein belanglos-harmloses Multikulti à la »bunte Vielfalt von Merci« gehen kann, stellte die Oldenburger Theologin Eske Wollrad klar:

Zur Zeit wird nicht nur in der Theologie und Kirche, sondern auch allgemein in der Gesellschaft viel von Vielfalt und von Anerkennung von Vielfalt gesprochen, das ist wichtig, meine Frage ist dabei, was ist das Ziel, wenn wir davon sprechen, dass wir Vielfalt wahrnehmen wollen, dass wir Diversität anerkennen wollen: Ich denke das Ziel muss sein, eine gesellschaftliche Veränderung herbei zu führen. Und dazu gehört die Analyse von Machtunterschieden. Diversität als Begriff verweist nicht unbedingt auf privilegierte Positionen von bestimmten Frauen, und der Begriff verweist auch nicht notwendig auf die Frage, wer eigentlich zu unseren Treffen oder zu unseren theologischen Diskussionen nicht eingeladen ist, wer traditionell ausgeschlossen bleibt und welche Stimmen nicht gehört werden.

Bild Auch eine selbstkritische Analyse des eigenen Handelns und der Beziehungen der Frauen untereinander war also gefragt. Dazu passt, dass die Synode in ihrer Schlusserklärung gar nicht erst große Forderungen an die offizielle Politik und die Kirchenoberen stellt – von denen scheinen die meisten Frauen ohnehin nicht mehr viel zu erwarten. Ganz unbeeindruckt davon, was in Parlamenten, Kirchengremien oder auch Mainstream-Medien derzeit diskutiert oder für wichtig gehalten wird, formulierten sie in Barcelona eigene Themen und versuchten neue, möglichst bessere Lösungsvorschläge und Ideen für die anstehenden Probleme zu entwickeln. Dabei kamen auch heikle Punkte zur Sprache. So problematisierte die katalanische Benediktinerin Teresa Forcadas zum Beispiel die Identitätspolitik von Minderheiten:

Weil sie diskriminiert wurden, haben verschiedene unterdrückte Gruppen lange auf das hingearbeitet, was sie eine Politik der Anerkennung nannten. Und das hieß, dass sie ihre jeweilige Identität respektiert sehen wollten. Aber im Lauf der Jahre wurde mir klar, dass das ein Problem war. Es war eine Falle. Denn Respekt und Anerkennung einzuklagen bedeutete in der Realität, die Leute in kleine Zirkel und Grüppchen einzuschließen, für die es alles andere als leicht ist, sich miteinander in Beziehung zu setzen und Brücken zueinander zu bauen. Und deshalb habe ich die Idee entwickelt, dass Dialog nicht etwas ist, das erst beginnen kann, nachdem man gegenseitig seine Grenzen anerkannt hat, sondern dass er geradezu eine Notwendigkeit wird, wenn man erkannt hat, dass die eigene Identität niemals fertig und abgeschlossen ist, sondern sich immer weiter formt, sobald man sich auf den Weg macht und neue Menschen trifft. Identität ist nichts, was du abschotten oder verteidigen kannst, sondern etwas, das du brauchst, um dich auf andere Menschen einlassen zu können.

Im interkulturellen und interreligiösen Dialog, so die Botschaft von Barcelona, geht es nicht um das Formulieren von Leitlinien, das Definieren von Glaubenssätzen, das Feilen an Kompromisspapieren, sondern um die persönliche Begegnung, das aneinander interessierte Gespräch, bei dem niemand auf die eigene Identität pocht, bei dem es keine Denkverbote und Tabus gibt, wo keine Vorbedingungen gestellt werden, und dessen Ende offen bleibt. Welch weit reichende Folgen das zum Beispiel für die Theologie haben könnte, brachte die niederländische Katholikin Manuela Kalksy auf den Punkt:

Ich denke, dass wird dann im Grunde, wenn wir die Vielfalt ernst nehmen wollen, Abschied nehmen müssen von einem Mono-Denken, was im Grunde ja unsere Theologie sehr beherrscht hat, also dieses: Wir sind alle eins in Jesus Christus, was bedeutet das denn, wenn wir jetzt diese Vielfalt der Religionen ernst nehmen wollen. Was bedeutet es, diesen Monotheismus zu haben, wie ist das mit Gewalt, was da im Hintergrund steht, immer eins haben zu wollen, und dadurch auch auszugrenzen.

So eine Beziehung zwischen Verschiedenen ist natürlich nicht immer einfach, wer miteinander redet, streitet sich auch. Als schwarze Pfarrerin, die alltäglich mit Rassismus konfrontiert ist, kritisierte Rose Hudson zum Beispiel, dass die Diskussionen über ethnische Minderheiten in der anglikanischen Kirche kaum öffentliche Beachtung fänden, während die Wahl eines schwulen Bischofs weltweit Aufmerksamkeit erregt – ihrer Meinung nach ist das ein typisch weißes Mittelstandsthema. Die vielen Lesben, die in Barcelona präsent waren, sahen das naturgemäß anders. Doch in zahlreichen Workshops und Diskussionen, gemeinsamen Liturgien und Andachten gelang es immer wieder, aus solchen Konflikten neue Einsichten zu gewinnen. Dass die persönliche Beziehung das Entscheidende ist, das direkte Gespräch, und nicht die abstrakte Position, die Schublade, in die sich eine stecken lässt, das war in diesen fünf Tagen keine Utopie, sondern Realität. Gewissermaßen hat die Frauensynode sich das alte Klischee, dass Frauen immer nur schwätzen und Kaffeeklatsch halten, während die Männer so ernsthafte Dinge tun wie Anträge schreiben und Tagesordnungen abarbeiten, in einem selbstbewussten Akt kurzerhand auf die eigenen Fahnen geschrieben.

Meiner Meinung nach gibt’s auch mehr Humor in den Frauenkirche-Zusammenhängen, also es gibt auch neben der Ernsthaftigkeit, mit der bestimmte Themen behandelt werden, eine gewisse Leichtigkeit, ich glaub, das hat damit zu tun, dass Frauen es eben gewohnt sind, sich nicht selbst immer tierisch ernst zu nehmen und auch mehr Einsicht haben oder vielleicht auch die Erfahrung der eigenen Begrenzungen ernster nehmen. Und das erleichtert es dann eben, über Dinge, die eben nicht funktionieren dann auch mal gemeinsam lachen zu können oder zu sagen okay, wir machen’s jetzt so gut wir’s können.

Für Michaela Moser, österreichische Katholikin und Mitorganisatorin der Synode, liegt gerade darin auch die besondere Qualität solcher Frauentreffen.

Meiner Meinung nach gibt’s auch mehr Humor in den Frauenkirche-Zusammenhängen, also es gibt auch neben der Ernsthaftigkeit, mit der bestimmte Themen behandelt werden, eine gewisse Leichtigkeit, ich glaub, das hat damit zu tun, dass Frauen es eben gewohnt sind, sich nicht selbst immer tierisch ernst zu nehmen und auch mehr Einsicht haben oder vielleicht auch die Erfahrung der eigenen Begrenzungen ernster nehmen. Und das erleichtert es dann eben, über Dinge, die eben nicht funktionieren dann auch mal gemeinsam lachen zu können oder zu sagen okay, wir machen’s jetzt so gut wir’s können.

Ebenso wichtig wie das zusammen Lachen war das zusammen Beten. Jeden Morgen und Abend gab es an allen Ecken des Kongressgeländes von den Teilnehmerinnen selbst organisierte Andachten und Liturgien.

Preisen will ich Gott, meine Geliebte, denn lieblich ist sie ganz und gar. Ihre Gegenwart befriedigt meine Seele, zum Überfließen füllt sie meine Sinne, sodass ich sprachlos bin. Ihre Berührung bringt mich zum Leben, die Wärme ihrer Hände macht mich ganz lebendig. Ihre Umarmung nährt mich, Körper und Geist, jeder Teil meines Seins antwortet auf ihre Berührung.

Feministische Psalmen, in denen Gott als weibliche Geliebte angesprochen wird, führten in Barcelona ebenso wenig zu theologischen Streitereien, wie traditionelle Andachten, in denen vom männlichen Herrn und Vater die Rede war. Selbstverständlich war es auch, dass Christinnen und Musliminnen gemeinsam beteten, und selbst die Weihe einer weiteren katholischen Priesterin durch die kürzlich von Rom exkommunizierte Theologin Christina Mayr-Lumetzberger, die für sich den katholischen Bischofsrang beansprucht, sorgte in Barcelona keineswegs für Aufregung. Zwar mokierte sich so manche Glaubensgenossin über das magische Amtsverständnis der Frauen, die auf das Priesteramt pochen – nach dem Motto: Wenn ich eine Eucharistie feiern will, dann tue ich das einfach, wozu brauche ich da eine Weihe? – aber wenn es der anderen doch nun mal so wichtig ist! Auch Mayr-Lumetzberger sieht die Debatte gelassen und bleibt optimistisch:

Wir sind hier, um uns auch angreifen zu lassen, um uns mit anderen Frauen zu treffen, also zu sehen, dass wir ganz echt und nicht verrückt und sonst etwas, dass wir ganz normale Frauen sind. Dass wir versuchen, auch den Frauen zu zeigen, es hat uns nicht den Kopf gekostet, die Frauen zu ermutigen, auch zu zeigen, dass es notwendig ist auch Schritte zu machen, und dass es auch gut ist, zu zeigen, wir sind durchaus bereit, echte Schritte zu gehen. Es ist geredet genug, wir wollen weiterreden, aber … jetzt ist die Zeit, worauf sollen wir warten?

Bild Schon die Themen zeigen jedenfalls: Von den Anliegen der oft kleinkariert wirkenden Verlautbarungen der offiziellen Kirchen sind viele religiös engagierte Frauen längst meilenweit entfernt. Über Religion und Theologie lässt sich zwar diskutierten, aber nicht um recht zu behalten und säuberlich die eigenen Claims abzustecken, sondern interessiert und neugierig: Vielleicht lässt sich aus der Glaubenspraxis der anderen ja noch eine Inspiration für das eigene spirituelle Leben ziehen? Vieles gab es da schließlich zu entdecken, von der Feier zum jüdischen Sabbatbeginn bis zu fernöstlichen Meditationsübungen. Wo sonst hat man die Gelegenheit, auf engem Raum eine solche Vielfalt an liturgischen Möglichkeiten kennen zu lernen, auch wenn man selbst nicht immer alles nachvollziehen kann. So wie die Russin Irina Kolosova, die eine anglikanische Liturgie besucht hatte:

Als ich diese so ganz und gar nicht orthodoxe Liturgie besuchte, habe ich nicht daran teilgenommen, das ist nicht meine Sache, ich habe nur fotografiert. Aber ich sah eine Menge Frauen weinen und lobpreisen. Kann ich denn sagen, mein Gefühl ist besser als Ihres? Nein. Ich glaube an meine Gefühle, und ich glaube an ihre Gefühle, und das ist der Grund, warum ich hier bin.

Sehr unterschiedlich sind nicht nur die spirituellen Bedürfnisse der Frauen, sondern auch ihre jeweilige Stellung in ihrer Kirche. Während in vielen protestantischen Kirchen Frauen längst nicht nur Pfarrerinnen sind, sondern auch Bischofsämter und andere hohe Funktionen inne haben, bleibt ihnen solche formale Gleichstellung in der katholischen Kirche verwehrt. Noch schlimmer sieht es in den orthodoxen Kirchen Osteuropas aus. Eine Debatte um die Gleichstellung von Frauen hat es dort bislang so gut wie gar nicht gegeben, in der russisch-orthodoxen Kirche zum Beispiel dürfen Frauen nicht nur keine Priester werden, sie dürfen auch den Altarraum nicht betreten und während der Menstruation nicht zum Abendmahl gehen. Irina Kolosova, die in Moskau Religionsphilosophie studiert und ihre Diplomarbeit über feministische Theologie in der russisch-orthodoxen Kirche schreibt, möchte aber dennoch nicht einfach die Forderungen und Ansichten westlicher Feministinnen übernehmen:

Für mich ist die Tradition sehr wichtig. Sie hilft mir, mich auszudrücken, zu beten und in tiefe Gemeinschaft mit Gottes Willen zu gelangen. Die Kirche ist für mich ein Ort, wo ich meine persönliche Beziehung zu Gott lebe, und deshalb bin ich russisch-orthodox, auch wenn ich oft eine andere Meinung habe als die offizielle russisch orthodoxe Kirche. Für mich ist es sehr wichtig, hier Kontakt herzustellen zu andere orthodoxen Frauen, mich interessiert, was sie für eine Meinung zu diesen Dingen haben. Denn manchmal fühle ich mich ziemlich allein, auch wenn ich weiß, dass ich nicht allein bin. Und das ist meine große Chance hier, solche Kontakte zu knüpfen.

Die Osteuropäerinnen waren es auch, die das zweite große Schwerpunktthema der Synode einbrachten, nämlich die schwierige wirtschaftliche Entwicklung Europas. Denn wo Frauen damit beschäftigt sind, ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern, haben sie wenig Zeit und Interesse, sich darum zu sorgen, ob sie Priesterinnen werden können, betonte Genoveva Tisheva, Juristin und Frauenrechtlerin aus Bulgarien:

Der Punkt um den es geht ist, wie wir unter den Bedingungen der Umstrukturierung und Privatisierung unserer Länder, die vor allem die Liberalisierung des Marktes bedeuten die Geschlechterrollen neu aushandeln. Diese wirtschaftliche Neuorientierung bringt neue Risiken für Frauen und bringt neue Formen der Diskriminierung mit sich, während sie gleichzeitig die überkommenen Formen der Diskriminierung, die wir unter dem Kommunismus hatten, noch verstärkt. Denn es war ja ein Mythos, dass wir im Kommunismus Geschlechtergleichheit hatten. Also für uns Bulgarinnen und die Frauen anderer Länder in dieser Region ist es im Moment entscheidend, Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen, darum muss es bei diesen Verhandlungen über unsere Rolle in der Gesellschaft, in den Gemeinschaften, in den Familien gehen. Dass Frauen bezahlte, gesicherte Arbeit haben, was natürlich nicht leicht ist, denn der Trend geht im Zuge der Globalisierung ja leider dahin, dass die Arbeit überall auf der Welt ungesicherter, informeller wird, mit den bekannten schlimmen Folgen, die das hat.

Das Problem, so wurde bei den verschiedenen Diskussionen und Workshops zum Thema Globalisierung und Wirtschaftsentwicklung deutlich, liegt nicht nur in den größer werdenden Risken, dem Auseinanderdriften von Arm und Reich, im Zusammenbruch der alten Sicherheiten und Sozialsysteme, sondern auch darin, dass die traditionellen Instanzen, die eigentlich für eine Lösung solcher Probleme zuständig wären, in jeder Hinsicht versagen. Sie hängen alten Ideologien nach, sei es der Sozialismus oder der freie Markt, die gleichermaßen ungeeignet sind, die Probleme in den Griff zu bekommen oder auch nur zu verstehen, sagte die bulgarische Politikwissenschaftlerin Tanja Marincheska von der Universität Sofia:

Es gibt gegenwärtig ein großes Defizit, dass wir nämlich nicht wirklich verstehen, was in unseren Ländern geschieht, oder auch in der restlichen Welt. Ich glaube, dass wir ganz neue Worte und Bedeutungen finden müssen für diese Entwicklungen. Wir stehen in einem Prozess, bei dem es erst einmal darum geht, herauszufinden, wie wir die Realität angemessen beschreiben können. Wenn wir uns dessen bewusst sind, wird es auch leichter sein, politisch aktiv zu werden.

Ihrer Beobachtung nach sind die einfachen Menschen oft besser gewappnet, mit den Umbrüchen der Zeit fertig zu werden, als die Institutionen. Im privaten Bereich, in den Familien, in den persönlichen Beziehungen fänden sie Wege und Mittel, um das Überleben zu sichern und das Leben lebenswert zu machen, während Parteien, männerdominierte Kirchen oder traditionelle Verbände sich in Grabenkriegen verschanzen und kaum etwas Produktives zustande bringen. Eine Analyse, die, wie schnell klar wurde, nicht nur die Situation in Osteuropa beschreibt, sondern sich sehr gut mit den Ideen westeuropäischer Feministinnen trifft, die unter dem Stichwort »Weiberwirtschaft« schon seit einigen Jahren an einem neuen Verständnis von Ökonomie arbeiten. Ina Praetorius, Ethikerin und Theologin aus der Schweiz:

Da kann ich an beide eigentlich anschließen an meine Vorrednerinnen, einerseits an das Stichwort neu-Aushandeln der Geschlechterbeziehung, und andererseits an die sehr breite Auffassung, dass wir die Welt ganz neu verstehen müssen, jenseits dieser Ideologien Neoliberalismus oder Sozialismus, also wirklich neue Konzepte oder neue Modelle von Weltbeschreibung erfinden müssen. Und das sind eigentlich Dinge, die im Konzept Weiberwirtschaft, das jetzt ungefähr seit 10 Jahren in Arbeit ist, eigentlich verwirklicht sind, ohne dass wir das jetzt in dieser Art formuliert haben, wir gehen davon aus, jetzt seit einigen Jahren, dass das Patriarchat als Herrschaftsform eigentlich zu Ende geht. Nicht in dem Sinn, dass jetzt alle Herrschaft weg ist, sondern dass die Herrschaftsform sich allmählich auflöst. Und dass dann ganz neu Fragen, die am Boden unserer Existenz angesiedelt sind, wieder virulent werden, und daran arbeiten wir. Zum Beispiel die Frage, welche Tätigkeiten sind eigentlich notwendig. Und da kommen wir auf die Frauen. Weil die Frauen tun in ihren traditionellen Rollen, die wir nicht befürworten, tun sie Dinge, die absolut notwendig sind, zum Beispiel Nahrung zubereiten, den Nachwuchs pflegen, Räume reinigen, usw. Und da ist jetzt die Frage, wie können wir das in einem ökonomischen Diskurs so fassen, dass es politisch verständlich wird und dass wir damit auch ne Politik machen, die für das gute Leben der ganzen Welt, aller Menschen, das ist ja eigentlich die ethische Grundfrage, was ist gutes Leben, und heute, in globalisierten Zeiten, explizit was ist gutes Leben weltweit.

»Nichts soll dich beunruhigen, nichts soll dich ängstigen, wer Gott hat, dem fehlt nichts, Gott allein genügt« – das Jahrhunderte alte Gebet der spanischen Mystikerin Teresa von Avila kann auch heute noch helfen, angesichts desolater Prognosen den Elan nicht zu verlieren und den Glauben daran, die Dinge zum Besseren verändern zu können. Dass eine andere Welt, ein friedliches und sich gegenseitig befruchtendes Miteinander von Kulturen und Religionen keine Utopie ist, so die Benediktinerin Teresa Forcadas, zeige aber auch ein Blick in die spanische Geschichte:

Im 15. Jahrhundert hatten wir hier ein Spanien der drei Kulturen. Es gab eine jüdische Bevölkerung, die gut integriert war, und das Gleiche galt für die Muslime. Das Gute daran ist, dass es ein goldenes Zeitalter für die Muslime in Spanien war, es war ein goldenes Zeitalter für die Juden in Spanien, und es war ein goldenes Zeitalter für die Christen in Spanien. Deshalb versuchen heute viele Philosophen herauszufinden, wie das damals gelang. Denn nach dem 15. Jahrhundert – es war 1492, als die Muslime aus Spanien vertrieben wurden – kam der Niedergang. Das passiert nämlich, wenn eine Gesellschaft versucht, eine Art imaginäre Identität zu schützen: Sie verliert ihre Macht, ihre Fähigkeit zum Fortschritt, ihre Kreativität.

Von solch goldenen Zeitaltern eines gleichberechtigten Zusammenlebens der Religionen ist Europa heute noch weit entfernt. Auch die Frauensynode ist derzeit noch eine überwiegend christliche Veranstaltung, doch erste Kontakte, zum Beispiel zu den Musliminnen, sind geknüpft. So mag es manche Teilnehmerin überrascht haben, dass es auch im Islam bereits einen feministischen Zweig gibt, für den zum Beispiel Rabeah Müller und Miyesser Ildem vom Kölner Zentrum für islamische Frauenforschung stehen:

Das Wesentliche an dieser Synode ist, dass wir uns in den Kreisen, so wie sie hier sind, durchaus ernst genommen fühlen. Wir haben normalerweise in der Bundesrepublik das Problem, dass wir, wenn wir auf eine bestimmte Art von Feministinnen treffen, die nicht unsere Art von Feminismus akzeptieren können. Weil sie sagen, es gibt eigentlich keinen religiösen Feminismus. Ich denke, dass grade christliche Theologinnen bereits längst das Gegenteil bewiesen haben, ein besonders schönes Beispiel ist als wir mal einem männlichen evangelischen Theologen gesagt haben, dass wir auch feministische Theologie machen, hat der gesagt, jetzt fangen die auch noch an. Und dann hab ich gedacht, aha, das ist der Stachel im Fleisch von denen, wir werden der Stachel im Fleisch unserer lieben Brüder sein.

Durch die Arbeit mit jüdischen und christlichen Frauen, merkt man durch den Austausch, dass die Probleme uns alle betreffen und wir alle ähnliche Probleme haben, und dass die Fronten eigentlich nicht zwischen den Religionen untereinander verlaufen, sondern eher unter den Geschlechtern.

Schon eine lange Tradition hat dagegen die Zusammenarbeit mit jüdischen Theologinnen. Dass die Jüdinnen gerade im Bezug auf die Bibelauslegung oft überraschende und wegweisende Thesen und Einsichten einbringen, hat sich auch in Barcelona wieder bewiesen. Die in Deutschland lehrende Professorin und Rabbinerin Eveline Goodman-Thau schlug nämlich, ausgehend von der Schöpfungsgeschichte, ein neues Verständnis der Geschlechterdifferenz vor. Dass Eva als Adams Helferin geschaffen wurde, dieses für viele Feministinnen recht anstößige Bild interpretiert sie auf eine Weise, die geradezu als Motto für die Zusammenarbeit von Frauen und Männern dienen könnte:

Also es bedeutet, auch schon in der Formulierung, die Gott benützt, ich will ihm, diesem männlichen Mann, der sich also noch nicht bewusst ist von seiner Männlichkeit, will ihm einen Helfer gegen ihn machen. (hebräisch) Das Wort ist eigentlich ein Wort, das für Gott benützt wird, Gott ist mein Helfer, wie es im Psalm heißt. Und das heißt, ein Helfer gegen ihn, und in diesem paradoxalen Verhältnis steht nicht nur Mann und Frau, aber auch Mensch und Gott. Und die Rabbinen sagen das sehr schön: Wenn er, der Mann, es verdient, dann ist sie Helferin, und wenn nicht, dann ist sie gegen ihn.

»Gib uns ein Herz, das groß genug ist, um zu lieben, und stark genug, um zu kämpfen«, sangen die Frauen in Barcelona. In ihrer Schlussresolution verpflichteten sie sich selbst, in ihren jeweiligen Ländern und Arbeitsfeldern für mehr Offenheit im interkulturellen Dialog und gegen ungerechte und unterdrückerische Strukturen in Politik und Wirtschaft einzutreten – und je nach Standpunkt kann man das als Versprechen oder als Drohung auffassen. Auch wenn hinter ihrer Synodenbewegung keine institutionelle Macht steht, wird dieses Treffen deshalb Wirkung entfalten. Die Ideen, Begegnungen und Gespräche der Europäischen Frauensynode haben Maßstäbe für ein religiös motiviertes politisches Handeln und den interkulturellen Dialog gesetzt, die hunderte von Pfarrerinnen und andere in ihren jeweiligen Kirchen engagierte Frauen mit nach Hause nahmen.

Mehr Infos zu Frauensynode (z.B. Wortlaut der Referate und der Resolution) unter www.synodalia.net


Sendung in hr2 am 17.8.2003