Antje Schrupp im Netz

Geld für alle! Feministische Gedanken zur Wirtschaft

Unsere Wirtschaftsordnung befindet sich in einem Umbruch. Die Globalisierung stellt uns vor neue Herausforderungen, die Bedeutung der Erwerbsarbeit nimmt ab, die herkömmlichen, im Industriezeitalter entstandenen sozialen Sicherungssysteme stehen auf wackligen Füßen.

Seit einiger Zeit ist als ein möglicher Ausweg die Einführung eines Grundeinkommens oder Bürgergeldes in der Diskussion. Also der Vorschlag, dass alle Menschen, unabhängig davon, ob und was sie arbeiten, einen bestimmten Geldbetrag bekommen, von dem sie leben können.

Dieses Grundeinkommen ist – wenn man dazu einmal im Internet recherchiert – vor allem ein männlicher Vorschlag. Ich möchte Ihnen heute einige Gedanken vorstellen, die aus einer feministischen Perspektive an dieses Thema herangehen. Hintergrund sind Diskussionen unter Philosophinnen, Ethikerinnen und Ökonominnen, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema Wirtschaftsethik beschäftigen. Ist »Geld für alle« die Lösung der sozialen Probleme? In welcher Hinsicht ja und in welcher Hinsicht nein?

In der Debatte, so wie sie derzeit überwiegend von Männern geführt wird, stehen sich zwei Diskussionsstränge gegenüber: Einmal die Skeptiker, die das Grundeinkommen ablehnen. Es sind diejenigen, die sagen, dass für so etwas kein Geld da ist. Weil das Geld, das verteilt werden soll, doch schließlich erst einmal verdient werden muss! Erst muss die Wirtschaft wachsen, dann kann sie etwas abgeben, so diese Position. Und deshalb muss heute, wo die Wirtschaft unter Druck steht (angeblich), am Sozialen gespart werden. Erst müssen wir Leistung bringen, dann können wir die Früchte ernten!

Das ist ein bisschen merkwürdig, denn eigentlich haben wir das Motto »Geld für alle« in unserer Gesellschaft ja bereits verwirklicht. Es gibt in den meisten Industrieländern eine Sozialhilfe, die sicherstellt, dass alle Geld haben, auch die, die selbst nicht erwerbstätig sind und Geld »verdienen«.

Allerdings soll das so möglichst nicht gesagt werden. Der Unterschied liegt im symbolischen. So wurde die Sozialhilfe kürzlich in ALG II umbenannt: Das Geld, das an diejenigen ausgezahlt wird, die es brauchen, soll also symbolisch keine soziale Hilfe mehr sein, die die Gesellschaft allen ihren Mitgliedern zuspricht, sondern es wird schon in der Bezeichnung an die Bedingung »Arbeitslos« geknüpft. Hilfeempfänger zu sein ist also gleichbedeutend mit arbeitslos geworden, und deshalb werden auch zum Beispiel kranke Menschen oder Mütter von vier Kindern usw. als »arbeitslos« betrachtet, obwohl erstere überhaupt nicht arbeiten können und letztere wahrlich sehr viel arbeiten, wenn auch nicht für Geld.

Die Gegenseite zu dieser symbolischen Position des »wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« ist das Schlaraffenland. Das Bild, wo wir alle faul auf dem Boden herumliegen und uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen und die Bäche voller Rotwein oder Limonade sind.

Diesem Bild des Schlaraffenlandes, der Fülle, haftet jedoch etwas Utopisches, Irreales an. Dazu passt, dass das Grundeinkommen vorwiegend von linke Gruppen (Gewerkschaften, Attac) seit den 1980er Jahren eingefordert wird, und die stehen ja ohnehin in dem Ruf, immer nur unrealistische Forderungen zu stellen.

Neuerdings werden aber auch immer mehr so genannte »seriöse« Stimmen laut zugunsten eines leistungsunabhängigen Grundeinkommens. Wirtschaftsmagazine wie »Brandeins«, Politikprofessoren und Wirtschaftsvertreter kommen zu der Ansicht, dass so ein Grundeinkommen finanzierbar und wünschenswert wäre. Gallionsfigur dieser Bewegung ist derzeit der Unternehmer und Besitzer der dm-Drogeriemärkte Götz Werner. Dieser hat gerade erst im November in der Zeit und in der Frankfurter Rundschau halbseitige Anzeigen drucken lassen und auch im Spiegel ein langes Interview gemacht. Er argumentiert nun, dass wir angesichts technischer Möglichkeiten und Arbeitsteilung in einer Phase sind, in der die »Befreiung von der Arbeit« möglich geworden ist. Güter können heute fast ohne Arbeitskraft hergestellt werden, sodass das, was gesellschaftlich zu organisieren ist, nicht mehr die Beteiligung der Menschen am Arbeitsmarkt sei, sondern ihre Beteiligung am Konsum – das heißt, alle müssen Geld haben. Es gibt auch schon eine Reihe von Berechnungen, die zeigen, dass das mit Hilfe einer radikalen Veränderung unseres Steuer- und Sozialsystems auch finanzierbar wäre. Auch hier ist aber noch das Bild vom »Schlaraffenland« präsent, Werner spricht etwa von »paradiesischen Zuständen«

Auf der Mailingliste »gutes Leben« diskutieren seit einigen Jahren deutschsprachige Philosophinnen, Ethikerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen und Theologinnen ebenfalls über dieses Thema. Vor fast zwei Jahren, im Frühjahr 2004, haben wir dort gemeinsam ebenfalls einen Text zum Thema Grundeinkommen verfasst. Auch uns erscheint vor dem Hintergrund vieler feministischer Debatten in den vergangenen Jahren dieser Vorschlag sinnvoll. Allerdings gehen wir von einer anderen Perspektive an dieses Thema heran.

Die meisten Befürworter des Grundeinkommens gehen nämlich davon aus, dass dieser Zustand der Fülle, das Schlaraffenland und das Paradies, das hinter der Forderung »Geld für alle« steckt, erst noch hergestellt werden muss.

Hingegen glauben wir, dass die Fülle schon da ist. Sie ist sozusagen der Ausgangspunkt des politischen Handelns, nicht sein Ziel, sein Endpunkt. In unserem Text stellen wir die grundlegende Lebenserfahrung in den Mittelpunkt, die wir alle selbst gemacht haben: Dass wir nämlich nicht in einer Welt des Mangels hinein geboren werden, sondern in eine Welt der Fülle. Wir alle sind als Babies auf die Welt gekommen, als kleine, schreiende, hilflose Wesen, die erst einmal ungeheuer viel bekommen haben, bevor sie selbst etwas geleistet haben. Wir alle wurden von unserer Mutter – oder von jemand anderem an ihrer Stelle – genährt, körperlich und geistig. Uns wurde zu essen gegeben, wir wurden gekleidet und behaust, uns wurde die Sprache geschenkt.

Diese Fülle ist freilich nicht das Schlaraffenland, wo uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, ohne dass wir dafür nur einen Finger rühren müssten. Sondern es ist die Fülle, die in der Komplexität der menschlichen Beziehungen liegt, die auf dem gegenseitigen Austausch beruht, auf der Grundtatsache, dass wir immer mit anderen in Verhandlungen stehen, dass wir geben und nehmen, dass wir es im Leben ständig mit Tauschbeziehungen zu tun haben, die aber eben sehr viel komplexer sind als das, was sich in den Wirtschaftsbilanzen niederschlägt.

Es ist also schlicht und einfach nicht wahr, dass nur isst, wer arbeitet. Die Vorstellung, Lohn gebe es nur für Leistung, beschreibt nicht die Realität, sondern eine symbolische Ordnung des Mangels. Nicht nur weil wir in der Realität ja Formen von staatlicher Sozialhilfe haben. Sondern vor allem, weil wir seit dem Moment unserer Geburt die Erfahrung gemacht haben, dass Menschen sich um uns kümmern, dass wir zunächst einmal Essen, Kleidung, Obdach bekommen haben, ohne Gegenleistung. Sonst hätten wir nämlich nicht überlebt.

Dass auch diejenigen essen, die nichts arbeiten, ist also keine Forderung, die wir mit Verve für die Zukunft von den Politikern einfordern müssen, sondern es ist eine Tatsache, die alle sehen können. Die Fülle ist kein Schlaraffenland, keine Utopie, sondern Realität.

Die falschen Vorstellungen von einer Wirtschaft, die nicht auf der Fülle beruht, also auf Geborensein und Abhängigkeit, Fürsorge und Schwäche beruht, sondern auf dem Mangel, auf Vereinzelung, Leistungsdruck und Konkurrenz hängen mit der androzentrischen, also den Mann in den Mittelpunkt stellenden Weltsicht zusammen, die seit Jahrtausenden – mindestens seit Aristoteles – das Denken der westlichen Welt geprägt hat.

Diese Weltsicht definiert den Menschen als erwachsenen, gesunden Mann. Alle anderen, ebenso selbstverständlichen Bedingungen des Menschseins (die Schwäche, die Krankheit, das Abhängigsein) werden sozusagen als Sonderfall ausgeklammert und in einen vorpolitischen Bereich von Familie und Natur verschoben, neuerdings auch in die Sozialsysteme, die dann aber ebenfalls von der eigentlichen Wirtschaft getrennt werden – das heißt, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, kann man sich das Soziale nicht mehr leisten.

In ihrem neuen Buch »Handeln aus der Fülle« zeigt die Schweizer Theologin Ina Prätorius – die ebenfalls auf jener Mailingliste und Mitautorin unseres Textes ist – wie sehr dieses androzentrische, patriarchale Weltbild unsere Wahrnehmung der Welt verzerrt hat, in allen Bereichen. Wie dieses Weltbild nicht nur die Geschlechterdifferenz als Dualismus, als Gegensatz von Höher und Tiefer, besser und schlechter fehlinterpretiert hat, sondern daraus einen ganzen Kosmos falscher Entgegensetzungen abgeleitet hat: Geist und Körper, Kultur und Natur, Gut und Böse, Verstand und Emotion, Politik und Privatem, Staat und Familie…. Diese falschen Entgegensetzungen finden sich auch im Bereich der Wirtschaft.

Deshalb wird üblicherweise unter »Wirtschaft« auch nicht das gemeinschaftliche Organisieren der Bedürfnisse der Menschen verstanden, sondern nur ein spezieller Unterbereich davon: Nämlich der so genannte »Markt« von Produktion und Dienstleistung, sofern er über das Geld geregelt wird. Nicht in den Bereich der »eigentlichen« Wirtschaft fallen danach so genannte »private« Bereiche, der Familienhaushalt, die Kindererziehung, die Fürsorge für Alte und Kranke.

Dieses Weltbild funktioniert heute längst nicht mehr, weil Frauen diese »vorpolitischen« oder außer-wirtschaftlichen Arbeiten nicht einfach mehr stillschweigend und unentgeltlich erledigen, jedenfalls nicht mehr in dem notwendigen Umfang.

Diese Veränderung ist keineswegs erst eine Folge der 70er-Jahre-Frauenbewegung, sondern schon viel älter. Schon in den 20er Jahren ist die Zahl der Geburten pro Frau von ungefähr 5 Kindern auf unter 2 Kinder gefallen. Schon damals begann die patriarchale Ordnung zu bröckeln. Aber erst die Frauenbewegung in den 70er Jahren hat diese Veränderung in Worte gefasst, die Tatsache der weiblichen Freiheit als politischen Faktor entdeckt und kultiviert.

Die Frauenbewegung hat immer darauf hingewiesen, dass die Entdeckung der weiblichen Freiheit, das Ende des Patriarchats also, auch weit reichende Veränderungen in der Arbeits- und Wirtschaftswelt nach sich ziehen muss. Ihre Vorschläge drehten sich von Beginn an wesentlich um Hausarbeit, Fürsorge, Kindererziehung, Bildung. Leider wurden dies alles bis vor kurzem weitgehend ignoriert und der Feminismus auf Emanzipation und Gleichstellung mit den Männern im öffentlichen Bereich reduziert. Die wirtschaftspolitischen Vorschläge der Frauenbewegung, etwa zur Kinderbetreuung, zur Abschaffung des Ehegattensplittings, zur Finanzierung von Pflege und Fürsorgearbeit wurden nicht als Gesellschaftspolitik, sondern als »Frauenpolitik« missverstanden und als »Gedöns« abgetan.

Seit einigen Jahren ist das anders. Bildungs- und Familienpolitik gelten inzwischen als »harte« politische Themen.

Diese Änderung konnte man in den Koalitionsverhandlungen schön sehen. Während die älteren SPD-Politiker der CDU das Bildungs- und Familienministerium gern überließen, beschwerten sich die jüngeren Abgeordneten, dass man gerade diese zukunftsträchtigen Politikfelder aus der Hand gegeben hat.

Allerdings ist es fraglich, inwieweit es gelingt, diese Wirtschaftsbereiche in das herkömmliche Muster von »Wirtschaft« zu integrieren. Vieles deutet darauf hin, dass es unmöglich ist, diese Tätigkeiten auf dieselbe Weise zu organisieren, wie im Industriezeitalter die Produktion – also durch Geld vermittelten Markt von Angebot und Nachfrage.

Erstens zeigt sich, dass die Löhne für diese Arbeiten auf diese Weise sehr niedrig werden und kaum mehr das Existenzminimum sichern, etwa in der Pflege. Zweitens zeigt sich, dass die Qualität leidet, wenn Fürsorgearbeit unter einem reinen Geld- und Profitaspekt organisiert wird. So »rentiert« es sich in der Logik des Geldmarktes zwar, im Krankenhaus ausgefeilte technische Geräte einzusetzen, aber nicht, den Kranken etwas gutes zu Essen und zu Trinken zu geben und sie im Zweifelsfall auch zu füttern. Das heißt, wir müssten eigentlich ganz neu über Qualitätsmaßstäbe für diese Arbeit diskutieren. Es reicht offensichtlich nicht, einfach zu sagen: Okay, die Frauen machen das nicht mehr umsonst, also müssen wir das jetzt professionalisieren. Bevor das gelingen kann, muss zunächst einmal untersucht werden, was eigentlich genau das Wesen und die Qualität dieser Jahrhunderte lang von Frauen »einfach so« erledigten Fürsorgearbeiten ausgemacht hat.

Es kann also nicht darum gehen, diese in ihrer Wichtigkeit neu entdeckten Arbeiten in das herkömmliche System der Wirtschaft zu integrieren, sondern es geht darum, »Wirtschaft« neu zu denken.

Ina Prätorius schreibt: »Kein Mensch kann leben, ohne zu essen, zu trinken, sich zu kleiden und ohne einen Ort in der Welt zu haben, an dem er vor Kälte und Hitze geschützt ist und ruhig schlafen kann. Fast alle Menschen sind von einem bestimmten Alter an fähig, durch ihr Tätigsein dazu beizutragen, dass sie selbst und andere genug zu essen und u trinken haben, sich kleiden, wohnen, ruhen und ein sinnvolles Leben führen können. Der arbeitsteilig und in Tauschverhältnissen organisierte Umgang mit natürlichen Ressourcen, menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen wird üblicherweise »Wirtschaft« oder »Ökonomie« genannt.«1

Wenn wir Wirtschaft so verstehen, dann begreifen wir auch, dass Frauen nicht am Rande der Wirtschaft stehen und in sie integriert werden müssen, ebenso wenig wie die Tätigkeiten, die sie traditionellerweise ausüben. Frauen stehen vielmehr im Zentrum der Wirtschaft. Jede von uns steht im Zentrum der Wirtschaft. Wir alle sind tätig, um uns und anderen Essen, Wohnung und Sinn zu ermöglichen.

Ina Prätorius weist auch darauf hin, dass diese Aufgabe der Wirtschaft global zu verstehen ist. Sie schreibt: »Die Weltwirtschaft hat den Auftrag, die Bedürfnisse aller sechs Milliarden Frauen und Männer zu erfüllen, die jetzt und in Zukunft in immer neuen Generationen zusammen mit unzähligen anderen Lebewesen die eine Erde bewohnen. Jedes einzelne Menschenleben, das zugrunde geht, weil man ihm Nahrung, Wohnung, Kleidung oder sinnvolles Dasein vorenthalten hat, ist ein Skandal, den wirtschaftende Menschen zu verantworten haben.«2

Der Gedanke, dass es die Aufgabe der Wirtschaft sei, Armut zu verhindern, ist nicht neu. Auch den androzentrischen Wirtschaftstheoretikern war schon immer klar, dass es Menschen gibt, die leistungsmäßig nicht mithalten können, deren Qualifikation nicht ausreicht oder die aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, sich unter kapitalistischen Bedingungen ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern. Schon im 18. und 19. Jahrhundert wurde dies als ein Begleitumstand der industrialisierten Gesellschaften deutlich, in der das wirtschaftliche Überleben der Einzelnen immer mehr vom Angebot an Erwerbsarbeitsplätzen abhängig wurde. Schon damals entstanden erste Überlegungen zur Einführung eines Grundeinkommens für Arme.

Das Grundeinkommen ist seiner Logik nach kein Gegenpol zum Kapitalismus, sondern eher ein notwendiger Bestandteil davon. Der maßgebliche Vordenker der heutigen Grundeinkommens-Debatten ist auch in der Tat kein Linker, sondern ein radikal Wirtschaftsliberaler, nämlich der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman. In seinem 1962 erschienenen Buch »Kapitalismus und Freiheit« fordert er, dass der Staat keinerlei Einfluss auf die Marktwirtschaft nehmen soll. Er soll lediglich die Rahmenbedingungen für eine freie Wirtschaft setzen*, also Rechtstaatlichkeit gewährleisten, Monopole unterbinden usw., aber nicht durch Einflussnahmen gewünschtes Verhalten herstellen und unerwünschtes Verhalten sanktionieren (insb. Steuervorteile oder Steuernachteile). Jede solche Einflussnahme ist seiner Meinung nach ein Eingriff in die Freiheitsrechte.*

Friedmann ist deshalb auch gegen jede Einkommensverteilung aus Gerechtigkeitsgründen. Allerdings gehört es aus seiner Sicht zu den Rahmenbedingungen für ein freies Wirtschaften, dass es keine Armut und Verelendung gibt. Deshalb schlägt Friedman vor, eine negative Einkommenssteuer einzuführen, was bedeutet, dass alle, die über einer bestimmten Summe verdienen, Steuern an den zahlen, und alle, die darunter liegen, sozusagen »negative« Steuern vom Staat bekommen.

Das funktioniert etwa so, dass ab einem bestimmten Einkommen – in seinem Beispiel sind es 600 Dollar im Monat – Steuern zu zahlen sind. Wer weniger verdient, bekommt umgekehrt eine negative Einkommenssteuer ausgezahlt. Wenn man zum Beispiel einen Steuersatz von 50 Prozent annehmen würde, dann müsste in diesem Modell jemand, der genau 600 Dollar verdient, weder Steuern bezahlen noch würde er welche bekommen. Wer 800 Dollar verdient, müsste 100 Dollar bezahlen, wer 400 Doller verdient, würde 100 Dollar bekommen. Wer gar nichts verdient, würde 300 Dollar bekommen.

Auf diese Weise will Friedman sicher stellen, dass es keine Armut gibt – weil niemand weniger als das Existenzminimum hätte – gleichzeitig aber der Markt nicht durch staatspolitische Vorgaben beeinflusst wird.

Der Vorteil des Modells Grundeinkommen ist, dass es in der Tat die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen nach Nahrung, Kleidung und Obdach befriedigen würde. Allerdings lässt es zwei wichtige Fragen offen: Erstens schließt es Fürsorgearbeiten immer noch aus der eigentlichen »Wirtschaft« aus – sie werden mit dem Grundeinkommen abgedeckt und müssen daher nicht weiter reflektiert werden. Zweitens löst das Modell nicht die Frage nach dem »sinnvollen Dasein«, das nämlich ebenso zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehört. Wenn das »eigentliche« Leben sich auf dem freien Markt abspielt, welchen Sinn hat dann ein Dasein, das aus diesem »Markt« ausgeschlossen wird?

Diese Sinnfrage lässt sich mit Geld allein nicht lösen und auch nicht mit einem Grundeinkommen. Das sieht man auch an den Problemen, die heute viele Arbeitslose, vor allem arbeitslose Männer haben. Ihr Problem ist ja nicht, dass sie nichts zu essen haben. Sondern dass sie nicht wissen, etwas Sinnvolles mit sich und ihrem Leben anzufangen.

Die meisten Modelle eines Grundeinkommens lassen also das »Lohn gibt es nur für Leistung«, was seine symbolische Seite betrifft, unangetastet. Sie sichern zwar die materielle Not ab für den Fall, dass jemand die Leistung nicht bringt – aber die Sinnfrage bleibt ebenso offen wie die Frage, wer eigentlich diejenigen Leistungen erbringen soll, die zwar notwendig sind, für die es aber nicht genug Geld gibt.

Um über die Verknüpfung von »Lohn und Leistung« auch symbolisch hinauszukommen, ist es hilfreich zu erinnern, dass sie keineswegs selbstverständlich. Im Feudalismus zum Beispiel war Lohn nicht an Leistung, sondern an Bedürftigkeit geknüpft – alle mussten so viel arbeiten wie sie konnten und bekamen dafür ihren Lebensunterhalt. Erst im Industriezeitalter wurde das Arbeitsverhältnis zu einem Tauschverhältnis und das Geld, das die Arbeiter bekamen, nicht mehr als Deckung ihrer Lebensbedürfnisse, sondern als Gegenleistung für ihre Arbeitskraft interpretiert. An dieser Veränderung hat übrigens die Frauenbewegung kräftig mitgewirkt. Denn bekanntlich lagen die Frauenlöhne bei der Fabrikarbeit auch bei gleicher Leistung lange Zeit deutlich unter den Männerlöhnen und der Kampf »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« war einer der bestimmenden der Frauenrechtlerinnen.

Nun waren die unterschiedlichen Löhne für Männer und Frauen anfangs aber keineswegs Ausdruck einer Diskriminierung in dem Sinne, dass man davon ausging, dass Frauen weniger leistungsfähig waren als Männer. Sondern es steckte dahinter die Vorstellung von einem so genannten »Ernährerlohn«, das heißt, man ging davon aus, dass von dem Geld, das die Männer bekamen, eine ganze Familie ernährt werden musste, von dem der Frauen aber nur sie selbst. In der unterschiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern steckte also noch das alte, feudalistische Bedürftigkeitsdenken. Erst im Lauf der Zeit wurde dies, unter Mitwirkung der Feministinnen, von einem Lohn für Leistung-Prinzip abgelöst – alle Arbeitenden bekommen, unabhängig von ihrer Lebenssituation, dasselbe. Im Ernährerlohn war noch theoretisch das Wissen enthalten, dass es Leute gibt, die nicht arbeiten, aber dennoch Geld brauchen. Mit der Forderung »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« wurde diese Verknüpfung abgeschafft, die Frage nach dem Zusammenhang von Geld und Fürsorgearbeit also aus dem Bereich der Wirtschaft entfernt.

Erhalten blieb lediglich die patriarchale Stuktur, indem etwa das Ehegattensplitting oder andere Steuervorteile für »Familienväter« eingeführt wurden, die die weibliche Freiheit in Frage stellen und daher unbefriedigend sind. Sie wurden von den Frauen insofern ad akta gelegt, als sie den einzig nahe liegenden Ausweg wählten, und selbst erwerbstätig wurden. Die Folge davon sind entweder Doppelbelastung von Frauen, die neben ihrer Erwerbsarbeit die Fürsorgearbeit noch unentgeltlich mit erledigen. Oder aber schlicht der, dass diese Arbeit nicht mehr in ausreichender Qualität getan wird.

Feministische Ökonominnen denken deshalb schon seit langem darüber nach, wie es möglich sein könnte, die Verknüpfung zwischen Geldkreislauf und nicht marktförmigen Care-Arbeiten wieder herzustellen. Sie arbeiten an Modellen, wie es sichergestellt werden kann, dass Menschen, die gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten, die sich aber nicht im Sinne des Marktgesetzes von Angebot und Nachfrage »rechnen«, dennoch zu Geld kommen können. Und wie diese notwendigen Arbeiten und ihre Kosten auch in den volkswirtschaftlichen Bilanzen sichtbar gemacht werden könnten.

Ein gutes Buch dazu ist etwa »Arbeit und Liebe« von Angelika Krebs. Eine gute Analyse des Zusammenhangs von Sorgebeziehungen und Ökonomie hat kürzlich auch Maren Jochimsen unternommen, in dem Buch »Sich in Beziehung setzen. Zur Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« 3 .

Aber diese Seite, also die Einbeziehung von Haus- und Fürsorgearbeit in die Geldwirtschaft, ist nicht genug. Sondern es ist die Frage, ob nicht unsere Vorstellung von Wirtschaft deutlich über den Bereich des Geldmarktes hinaus ausgeweitet werden müsste.

Wenn wir uns daran erinnern, was wir alle in der Beziehung zu unserer Mutter bereits erfahren haben, sehen wir, dass wir das Lebensnotwendige – Nahrung, Obdach und Sinn – bekommen haben, ohne dass wir etwas dafür bezahlen mussten. Und dass es viele Menschen gibt, die schon immer auf vielfältige Weise ehrenamtlich gearbeitet haben – die also auch etwas leisten, ohne dass sie dafür Geld bekommen.

Herkömmlicherweise, nach der alten Aufspaltung in öffentliches und privates, wurde dieses ehrenamtliche, mütterliche Geben als etwas interpretiert, das sich außerhalb der Wirtschaft abspielt. Aus »reiner Liebe«, aus »Mildtätigkeit«, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Die Erfahrung zeigt aber etwas anderes. Natürlich erwartet auch die Mutter von ihrem Kind gewisse Gegenleistungen, zum Beispiel, dass es brav sei. Und auch diejenigen, die ehrenamtlich arbeiten, wollen dafür etwas bekommen – Anerkennung, Sinnerfüllung, manchmal sogar auch Geld – und fordern das ja auch zunehmend ein.

Wenn man genau hinschaut, handelt es sich auch hierbei um Tauschbeziehungen. Es ist keineswegs so, dass die Mutter nur gibt und das Kind nur nimmt. Auch das Kind gibt der Mutter etwas. Auch die Muter ist nicht einfach ein sich selbstlos aufopferndes Wesen, sondern eine wirtschaftende Person mit eigenen Interessen und Wünschen, über die sie verhandelt. Es ist auch nicht so, dass Ehrenamtliche nur geben und nichts für ihre Arbeit bekommen. Sie bekommen zum Beispiel Sinn, Befriedigung, Freundschaften, Qualifikationen.

Die italienische Philosophinnengemeinschaft Diotima hat ihrer jährliche Ringvorlesung an der Universität von Verona im Herbst 2003 den Titel gegeben: »Soll wirklich alles auf den Markt getragen werden? Ja, aber dann auch wirklich alles!«

Mir hat dieser Titel sehr gut gefallen, denn er weist auf einen Umstand hin, der in der Debatte um den Markt häufig unbeachtet bleibt: Dass es nicht etwa darum geht, den Markt zurückzudrängen und Freiräume außerhalb des Marktes zu schaffen, wie häufig von Linken gesagt wird, sondern dass es darum geht, überhaupt erst einmal einen freien Markt zu schaffen, auf dem dann alles verhandelt wird, was mit Wirtschaft, also der Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Lebenssinn, betrifft.

Wenn wir Wirtschaft in diesem weiteren Sinn verstehen und wenn wir uns selbst als Akteurinnen im Zentrum dieser Wirtschaft verstehen, dann stellen wir nämlich fest, dass wir in der Tat viel mehr auf diesem Markt tauschen, als nur Geld: Auch Anerkennung, Sinnstiftung, Freude sind Dinge, die wir gegen unsere Arbeit eintauschen.

Dies äußert sich in vielen wirtschaftlichen Entscheidungen, die viele Frauen, aber auch Männer treffen: Die Entscheidung für Teilzeitarbeit, für Stellen, die zwar nicht so viel Geld, aber dafür Freude und Sinn ergeben, die Entscheidung, Beziehungen nicht jeder vom Markt geforderten Flexibilität zu opfern, die Entscheidung für bestimmte Studienfächer, auch wenn die Karrierechancen da nicht so gut sind und so weiter.

Mich ärgert es, wenn solche Entscheidungen von Frauen immer und immer wieder als Defizite vermeldet werden. Diese Nachricht »Frauen verdienen immer noch weniger Geld als Männer« kann ich nicht mehr hören. Ich kann auch nicht mehr hören, dass Frauen angeblich die falschen Studienfächer wählen und die falschen Karriereentscheidungen treffen.

Die Journalistin Jeanne Rubner etwa schrieb dieses Jahr in der Süddeutschen Zeitung: »Selbst Abiturientinnen haben zwar gute Noten, wählen aber die falschen Fächer: Sie studieren nicht Informatik oder Volkswirtschaft, sondern Germanistik, Sprachen und Sozialpädgogik, was interessant ist, aber wenig Geld und kaum Ruhm einbringt. Und sie wollen Lehrerinnen werden, weil sie dann mittags nach Hause kommen können.«[^4](Jeanne Rubner)

Es ist heute nicht mehr so, dass Frauen weniger verdienen, weil sie Frauen sind. Sondern Frauen verdienen heute im Durchschnitt weniger Geld, weil sie andere wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen: Sie arbeiten häufiger Teilzeit, sie überlegen genauer als Männer, ob sie eine höhere Machtposition annehmen wollen, sie sind weniger bereit, Privatleben, Kindererziehung, Freundschaften und Ehrenamt flexibel den Erfordernissen der Erwerbsarbeit unterzuordnen. Ja, Frauen sind arm – wenn man dies nur am Geld misst. Aber sie sind auch reich – an Ideen, Wünschen, Engagement und Lebenssinn.

Statt darüber zu lamentieren, dass Frauen nicht dasselbe machen, wie die Männer, könnten wir doch einmal fragen, welche andere Art des Wirtschaftens sich hinter diesen weiblichen Lebensentscheidungen verbirgt und ob sie nicht vielleicht der eigentlichen Aufgabe von »Wirtschaft« – nämlich allen sechs Milliarden Menschen auf der Erde ein gutes Leben zu ermöglichen –angemessener ist? Und wie wir dieses weibliche wirtschaftspolitische Handeln politisch zu Gehör bringen könnten?

Damit könnten wir im Übrigen an eine lange weibliche wirtschaftspolitische Tradition anknüpfen. Im September habe ich an einem Kongress über die Internationalität der Frauenbewegung teilgenommen. Dort präsentierten Historikerinnen eine wahre Fülle von Frauen, die auf dem Gebiet der Wirtschaft engagiert waren.

Elizabeth Fry zum Beispiel, eine Engländerin, die acht Kinder hatte und einen Mann, der Pfarrer war, die also sicherlich genug zu tun hatte. Trotzdem engagierte sie sich für Frauen, die im Gefängnis waren und initiierte eine internationale Bewegung zur Verbesserung von Gefängnisbedingungen und für die Integration von haftentlassenen Frauen in die Gesellschaft. Oder Josephine Butler, die das Thema Prostitution aufgriff.

Es war für mich sehr eindrücklich zu sehen, dass praktisch keine der Feministinnen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die dort vorgestellt wurden, vorrangig für die rechtliche Gleichstellung von Frauen eingetreten sind. Sie haben sich gegen Armut engagiert, sich mit den Arbeitsbedingungen von Prostituierten beschäftigt, der Situation von Dienstmädchen und so weiter. Das heißt: Sie haben sie sich Gedanken gemacht über gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme, sie haben Antworten gesucht auf das durch die Industrialisierung entstandene Elend, auf Armut und sozialen Ausschluss.

Dass sie und viele andere so genannte »Frauenrechtlerinnen« wollten, dass Frauen mehr in politische Entscheidungen eingebunden werden, hatte nicht den Grund, dass sie den Ausschluss der Frauen diskriminierend oder ungerecht fanden, sondern sie erhofften sich, dass Frauen hier zu besseren Lösungen beitragen würden als eine Politik, in der nur Männer tätig sind.

Diese Frauen haben schon damals klar gemacht – in ihrem persönlichen Handeln und in ihrer Wirtschaftstheorie – dass die Wirtschaft und der Markt viel mehr umfassen, als nur Geld. Es war nämlich keineswegs die Wirtschaft und auch nicht der Staat, der die soziale Wohlfahrtspflege erfunden hat. Es waren überwiegend Frauen und auch einige Männer, die obwohl sie persönlich wirtschaftlich gut abgesichert waren, Notwendigkeiten erkannt haben und in politisches Handeln umgesetzt haben. Leider werden diese Frauen in unserer Geschichtsschreibung, auch in der feministischen leider, bisher immer als »Feministinnen« oder als »Frauenrechtlerinnen« gesehen. Sie waren aber vor allem Ökonominnen, was sich auch daran zeigt, dass sie fast alle Wirtschaftsbücher geschrieben.

Allerdings mehr im englischsprachigen als im deutschsprachigen Raum: Zum Beispiel »Treatise on Domestic Economy« von Catherine Beecher, »Women and Economics« von Charlotte Perkins Gilman, »Woman’s Work and Woman’s Culture« von Josephine Butler, um nur einige zu nennen, vor allem aber auch Harriet Taylor, die mit dem Wirtschaftswissenschaftler John Stuart Mill verheiratet und Mitautorin von zahlreichen seiner Texte war. Es gibt also eine lange Tradition von wirtschaftswissenschaftlichen Ieen von Frauen, und es ist schade, dass sie bislang überhaupt nicht ausgewertet sind.

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie eine viel breitere Vorstellung von Wirtschaft schon damals hatten, als ihre männlichen Zeitgenossen. Was wir von ihnen lernen könnten, ist ein erweitertes Modell des Marktes, das sie entworfen haben in einem Zusammenspiel von Theorie und Praxis, in dem sie von ihrem eigenen Handeln ausgingen und dazu entsprechende Theorien schufen.

Wenn man wirklich alles in den Markt einbezieht, was mit Wirtschaft zu tun hat, dann heißt das, dass ich mit jeder Handlung, mit jeder Tat, mit jedem Bedürfnis und jeder Bitte mich in das »Bezugsgewebe der menschlichen Angelegenheiten«4 – wie Hannah Arendt das nannte – einknüpfe, dass ich Beziehungen eingehe und gestalte mit anderen Menschen, von denen ich abhängig bin und mit denen ich vom Moment meiner Geburt an in einem unendlich komplizierten und niemals endenden Kreislauf von Tauschverhandlungen stehe.

In einem so weit gefassten Begriff des Marktes ist ausgedrückt, dass kein Mensch auf sich allein gestellt überleben kann, dass er eine »Wirtschaft« braucht, dass er sich vom Moment der Geburt an auf einem Markt befindet, und dass die Geschichte von Robin Crusoe nichts anders ist als ein männliches Phantasma, wie Ina Prätorius schreibt.

Niemand sorgt für sich selbst. Sozialhilfe zu bekommen und zu gewähren ist kein menschlicher Sonderfall, der an Krankheit, an bestimmte Lebensphasen wie Kindheit oder Alter oder gar – wie die Bezeichnung ALG II nahe legt – an den Sonderfall der »Arbeitslosigkeit« gebunden ist, sondern trifft für uns alle zu. Wir alle bekommen und geben Sozialhilfe seit dem Moment, wo wir auf der Welt sind.

Was es für Sozial- und Wirtschaftspolitik bedeutet, Bedürftigkeit als menschlichen Normalzustand zu sehen und zum Ausgangspunkt zu nehmen, hat Michaela Moser in dem bereits erwähnten Buch beschrieben.5

Was getrennt werden muss, ist also nicht Leistung und Lohn, sondern genauer: Leistung und Geld. Das Geld, ursprünglich entstanden als ein Mittel, das Tauschbeziehungen vereinfachen sollte und das als solches auch sehr nützlich ist, hat sich heute verselbstständigt, ist also nicht mehr ein Tauschmittel, sondern ein Lebensmittel geworden – was daran deutlich wird, dass es nicht mehr genügt, zu essen, zu trinken und ein Obdach zu haben, sondern dass es als zur Menschenwürde gehörig betrachtet wird, sich diese Lebensmittel mit Hilfe von Geld selbst beschaffen zu können.

Das heißt, wir befinden uns nicht mehr auf einem offenen, freien Markt, indem alle mit allen über alles verhandeln, sondern auf einem planwirtschaftlich eingeschränkten Markt, der nur das betrachtet, was sich in Geld umrechnen lässt und so tut, als gäbe es all die nicht über Geld vermittelten Bereiche nicht.

Wir haben vergessen, dass wir immer etwas tauschen – und so in gewisser Weise auch etwas leisten – weil all die so genannten privaten Bereiche, in denen verhandelt und gefeilscht und überboten wird, wie Sie das sicher selbst auch schon zuhause am Familientisch erlebt haben, weil alle diese Tauschverhältnisse, die nicht über Geld laufen, aus der Wirtschaft hinausdefiniert wurden.

Mit dieser Abspaltung der Geldwirtschaft von der Wirtschaft insgesamt wurde auch der äußerst komplizierte Vorgang des Tauschens und Verhandelns vereinfacht und damit verfälscht. Denn das ständige gegenseitige Tauschen und Verhandeln ist ja deshalb so kompliziert, weil die Rechnung niemals aufgeht, weil wir niemals vollständig »quitt« sind. Dies wird am deutlichsten im Geschenk – auch das Schenken ist ja Teil des Marktes. Es stabilisiert eine Beziehung, zieht Schuldigkeit oder Dankbarkeit nach sich. Geben und Neben geht unterm Strich nie auf, was bedeutet, dass wir immer und jederzeit abhängig sind und Bedürfnisse haben. Es ist nie so, dass wir das, was wir bekommen, vollständig »verdient« haben, und es ist auch nie so, dass wir für das, was wir »leisten«, den vollständigen Gegenwert zurückbekommen. Die Bilanz ist immer schief, weil das Spiel eben so sehr kompliziert ist, und eine wesentliche wirtschaftliche Kompetenz ist es, diese Tatsache der krummen Bilanzen zu verstehen und kreativ mit ihr umzugehen.

Unter diesem Aspekt können wir übrigens auch neue Perspektiven auf den Prozess der Globalisierung werfen. Denn dieses komplizierte Tauschen und Verhandeln geschieht in Gesellschaften, die weniger als die unsere über Geld vermittelt werden, noch viel bewusster und das kann auch für uns, die wir unsere eigene Form der Wirtschaft kritisch hinterfragen, lehrreich sein. So ist das Essen und Trinken, die Zubereitung von Mahlzeiten, das Einladen von Gästen, die Verteilung der Leckerbissen usw. eine eminent wirtschaftliche Tätigkeit, die eben darüber hinaus immer auch ein komplexes Beziehungsgeschehen beinhaltet, die Welt gestaltet – und nur nebenbei auch etwas mit Geld zu tun hat, wie Maria Katharina Moser in ihrem Aufsatz zeigt.6

Natürlich erleichtern Geld und Gesetze in ökonomischer Hinsicht vieles. Wir müssen nicht über jede Kleinigkeit verhandeln, sondern bezahlen einfach den Preis, der drauf steht. Auf Geld und Gesetze können wir uns aber nur verlassen, wenn es um vergleichsweise unwichtige Sachen geht, wie darum, was ein Auto kostet. Was die wichtigen Dinge betrifft (und es ist nicht objektiv festgelegt, was wichtig ist, sondern eine persönliche Entscheidung jeder Einzelnen), da helfen uns Preise und Gesetze nicht weiter. Da müssen wir in Verhandlungen treten – mit anderen und mit uns selbst – und dafür ist ein differenziertes Denken hilfreich. Das Denken eines wirklich freien Wirtschaftsmarktes, auf den wirklich alles getragen wird. Nicht nur das, was sich in Geld ausdrücken lässt, sondern auch Liebe, Freude, Sinnfindung und so weiter.

Vor diesem Hintergrund stellen sich drei wichtige Fragen, die eine Wirtschaftstheorie heute beantworten muss:

  1. Wie können wir dafür sorgen, dass alle Menschen das Lebensnotwenige bekommen?

  2. Wie können wir sicher stellen, dass gesellschaftlich notwendige, aber nicht marktförmige Tätigkeiten der gegenseitigen Fürsorge mit guter Qualität erledigt werden?

  3. Wie können wir Menschen, die aus geldwirtschaftlicher Perspektive »überflüssig« sind, sinnvoll in die Gesellschaft integrieren?

Die erste Frage – wie wir dafür sorgen können, dass alle Menschen das Lebensnotwendige bekommen – würde das Grundeinkommen lösen. Schon allein deshalb ist es wünschenswert. Seine Einführung scheitert nicht so sehr an der Frage der Finanzierbarkeit, wie allgemein behauptet wird, sondern daran, dass symbolisch Lohn und Leistung bzw. genauer Lohn und Geld in unserem Denken miteinander verknüpft sind.

Beispiel mit den Kindern und den Bildern…

Man darf aber nicht denken, ein Grundeinkommen würde die zweite Frage gleich mit beantworten, nämlich: Wie wir sicher stellen können, dass gesellschaftlich notwendige, aber nicht marktförmige Tätigkeiten der gegenseitigen Fürsorge mit guter Qualität erledigt werden.

Immerhin würde ein Grundeinkommen gewährleisten, dass die Löhne im Bereich von Pflege, Bildung usw. nicht ins Bodenlose fallen könnten. Weil niemand mehr gezwungen wäre, für Niedrigstlöhne zu schuften. Dennoch bliebe das Problem, dass sich solche Tätigkeiten auf einem Markt, der nach den alten Prinzipien der Industriegesellschaft organisiert ist, nicht rentieren. Eine einzige Arbeitskraft in der Produktion »schafft« heute – mit Hilfe von Maschinen und Technik – eine enorme Menge an »Wert«. Damit kann eine Arbeitskraft in der Dienstleistung, besonders in der Pflege und der Fürsorgearbeit, nie und nimmer konkurrieren.

Ich glaube deshalb, dass die Marktbereiche »Güterproduktion« und »Dienstleistung« (letzteres inkl. Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege, Bildung usw.) voneinander getrennt werden müssen, denn sie funktionieren nach wesentlich anderen Prinzipien.

Genau besehen waren sie ja auch seit der Industrialisierung immer getrennt, weil den zweiten Bereich die Frauen stillschweigend unentgeltlich nebenher erledigt haben (und auch heute noch in großem Umfang erledigen, was der Grund ist, warum nicht noch viel mehr Chaos herrscht). Diese Tätigkeiten lassen sich nicht den Prinzipien des Produktionsmarktes einfügen, wenn man die Qualität dieser Arbeiten erhalten will.

Wir brauchen Wirtschaftstheorien, die einen erweiterten Marktbegriff haben, der es erlaubt, auch diese Tätigkeiten und ihre Vermittlung in einem komplexen Beziehungsgefüge der Menschen zu denken. In unserem Grundeinkommenstext haben wir dazu schon einige Vorschläge gemacht. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist es, die weibliche Differenz im Bezug auf wirtschaftliches Verhalten zu analysieren: Wie treffen Frauen ihre beruflichen Entscheidungen? Worauf legen wir bei der Arbeit wert? (vgl. auch: Dorothee Markert: Nicht Mangel, sondern Fülle.

Zur dritten Frage: Wie können wir Menschen, die aus geldwirtschaftlicher Perspektive »überflüssig« sind, sinnvoll in die Gesellschaft integrieren?

Sinn entsteht – so haben es die Autorinnen des soeben erschienenen Büchleins »Sinn – Grundlage von Politik« beschrieben – entsteht, wenn jemand eine persönliche Verbindung zwischen sich selbst und der Welt, dem, was gesellschaftlich geschieht, herstellen kann. In einer Gesellschaft, die diese Verbindung nur über die Erwerbsarbeit herstellt, kann dies nicht gelingen, wenn man in diesen Arbeitsprozess nicht mehr integriert ist. Es ist deshalb notwendig, andere Verbindungen herzustellen.

Frauen fällt das aus historischen Gründen leichter, als Männern. Schließlich sind sie noch nicht so lange in den Erwerbsarbeitsmarkt integriert. Frauen haben vielfältige Möglichkeiten entwickelt, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen, auch außerhalb der Erwerbsarbeit. Es gibt dazu eine Fülle von wirtschaftstheoretischen Ideen weiblicher Vordenkerinnen, die es zu erkunden und für heute fruchtbar zu machen gilt.

Dazu gehört zum Beispiel auch der Gedanke, dass das Grundeinkommen kein Recht ist, auf das alle einen Anspruch haben, ohne sich sonst wie in Beziehung zur Allgemeinheit stellen zu müssen. Ich sehe es eher als ein Geschenk, das die Gesellschaft jedem einzelnen machen könnte. Ein Signal sein, das sagt: Du bist uns wichtig, wir wollen, dass es dir gut geht und dass du ohne Existenzsorgen leben kannst – damit auf dieser Grundlage auch das Interesse und der Wunsch entsteht, selbst etwas dazu beizutragen.

Häufig wird ja gesagt, Sozialhilfe oder auch ein Grundeinkommen macht die Menschen faul, es führt dazu, dass sie sich zu nichts mehr nutze fühlen, abschlaffen, sich überflüssig fühlen. Ich bezweifle das. Ich halte es da eher mit Bill Gates, dem Chef von Microsoft. Wie ich neulich gelesen habe will er, obwohl er Multimilliardär ist, seinen Kindern »nur« jeweils 10 Millionen Doller vererben, damit sie sich nicht einfach auf ihrem riesigen Vermögen ausruhen sondern selbst produktiv sind. Ich finde, er hat ganz recht mit seiner Sorge, dass ein Leben im Schlaraffenland ihre Kinder zu gesellschaftlichen Outsidern machen würde. Aber er ist auch klug genug, zu sehen, dass es ganz ohne Vorschuss auch nicht geht. Ebenso wie für die Gates-Kinder die 10 Millionen Dollar nicht das Ruhekissen sein sollen, sondern das Startkapital, die Ressource, die ihre Eltern ihnen mitgeben, damit sie selbst auch ihrerseits in der Welt tätig sind, so könnte auch das Grundeinkommen ein Startkapital sein, dass wir als Gesellschaft unseren Mitgliedern zur Verfügung stellen. Nicht weil sie darauf ein Recht haben – niemand hat ein Recht darauf, ohne Gegenleistung durchgefüttert zu werden. Auch nicht, damit sie ruhig bleiben und abstumpfen. Sondern damit sie ohne Existenzängste sich in Freiheit am gegenseitigen menschlichen Tauschgefüge beteiligen und mit ihren jeweils eigenen Kompetenzen einbringen können in den großen freien Markt der komplexen menschlichen Beziehungen.

Vortrag am 9. Dezember 2005 in Gießen

Siehe auch: www.gutesleben.org

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[4]Jeanne Rubner: Und dann machen wir’s uns gemütlich. Weibliche Führungskräfte kennen viele Karrierehindernisse – das größte sind sie selbst, Süddeutsche, 11.2.2005.


  1. Ina Prätorius: Handeln aus der Fülle. Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition, Gütersloh 2005, 174. 

  2. ebd., 175. 

  3. Maren A. Jochimsen: Für andere sorgen heißt: sich in Beziehung setzten«. In: Ina Praetorius (Hg): Sich in Beziehung setzen. Zur Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit, Ulrike Helmer-Verlag, Königstein 2005. 

  4. Hannah Arendt: Vita Activa. 

  5. Michaela Moser: »We all live subsidized lives!«. Bedürftigkeit als menschlicher Normalzustand und als Ausgangspunkt für eine erneuerte Politik des Sozialen. 

  6. Maria Katharina Moser: Der Welt zu essen und zu trinken geben. Essen, Globalisierung und die Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit, in: Ina Praetorius (Hg), a.a.O.