Antje Schrupp im Netz

Freakstock-Festival in Wiesbaden

Hunderte von Jesus-Freaks aus ganz Deutschland trafen sich diese Woche zu einem viertägigen Freakstock-Festival in Wiesbaden. Sie träumen davon, eine weltweite Jesus-Bewegung anzustoßen.

Laut und punkig ging es dieses Wochenende im Wiesbadener Industriegebiet zu. Höhepunkt des Freakstock-Festivals war ein Rave am Freitagabend, eine Party mit Technomusik, die bis zum Morgengrauen ging. Was das ist, christlicher Punk und christlicher Techno, ist schnell erklärt. Ein Mitglied der Wiesbadener Jesus-Freaks:

Es gibt ja im Techno-Bereich eigentlich relativ wenig Text, aber wenn zu den was weiß ich, 160 Beat ständig irgendeiner singt »come to hell, come to hell«, das ist nen bißchen destruktiv, genausogut kann man das umdrehen und kann singen »come to Jesus«.

In Hamburg wird Christentum schon seit drei Jahren als gigantische Jesusparty zelebriert. Jeden Freitag treffen sich zwei- bis dreihundert Freaks in einer Kneipe an der Reeperbahn zum etwas anderen Gottesdienst, ohne Liturgie und kirchlichen Rahmen. Ihr Zeichen ist ein in ein Omega gestelltes A, und es sieht ganz ähnlich aus, wie das in Szenekreisen häufig anzutreffende Anarcho-A. Die Idee hatte Martin Dreyer, evangelikal-pfingstlerischer Christ aus der Anskargemeinde des umstrittenen Pastors Wolfram Kopfermann.

Ich glaub, es geht viel mehr darum, daß wir mit diesem Festival auch irgendwie zeigen wollen, daß wenn Christen sagen, sie haben das Leben und Jesus sagt, ich geb Leben im Überfluß, daß Christen eigentlich Leute sein müßten, die wirklich feiern können, die wirklich Spaß haben, die wirklich frei sind, die echt Party machen können.

Das Konzept geht offenbar auf. Inzwischen gibt es bundesweit rund dreißig Jesus-Freak-Gruppen, zum Beispiel auch in Wetzlar und Wiesbaden. Sie stehen nicht nur den offiziellen Amtskirchen kritisch gegenüber, sondern auch den Freikirchen, den Charismatikern und Pfingstlern.

Unsere Erfahrung war, daß die meisten Leute eigentlich vom Glauben ferngehalten werden durch die Kirche, Freikirche wie Landeskirche, und wenn du mit Leuten in Kneipen und Bars und auf der Straße über Gott redest, dann sagen sie auf einmal, ach ja, wenn ich alleine bin, zuhause, im Bett, ja dann bet ich auch mal. Aber mit Kirche will ich nichts zu tun haben, weil Kirche heißt, Regeln, heißt konservativ sein, da scheint irgendwie so ne unsichtbare große Mauer vor vielen Kirchen zu stehen und leider eben auch vor Freikirchen, die man eben erstmal überschreiten muß.

Die Botschaft der Jesus-Freaks ist einfach: Jesus lebt, Jesus liebt dich und wenn du dich zu ihm bekehrst, wird er dein Leben verändern.

Wir müssen nichts mehr machen, sondern Jesus hat schon alles gemacht, wir kriegen die Liebe geschenkt, ohne irgendwie ein Leistungsdenken oder irgendwelche frommen Sachen zu machen

Das ist auch eine Absage an die Freikirchen, in denen viele der Jesus-Freaks-Macher ihre religiöse Heimat haben. Die Jesus-Freaks schaffen sich Orte, wo Jugendliche aus diesen häufig spießig-engen und moralisch rigiden evangelikalen Gemeinden ausbrechen können, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen und Angst, in die Hölle zu kommen. Denn das evangelikale Vokabular, das persönliche Erweckungserlebnis, all das haben die Jesus Freaks übernommen. Sie haben sich dabei jedoch mit Punkern und Leuten aus der Drogenszene zusammengefunden, die im Jesuskult Halt und Sinn suchen. Gegenseitige Beeinflussung bleibt dabei natürlich nicht aus. Im Mittelpunkt steht die Maxime, daß Jesus alle Menschen liebt, egal wie sie sind. Weil diese Liebe über allen anderen theologischen und moralischen Maßstäben steht, ist das auch ein Weg zur individuellen Befreiung von evangelikalen Gruppenzwängen. Tobias Görtz, ein Jesus-Freak aus Hamburg:

Ich glaube, die ganzen Regeln und sowas, die in der Bibel drinstehn, die stehn da nicht drin, um den Menschen das Leben schwer zu machen, sondern ich glaube, daß wenn es so ist, daß Gott das Leben geschaffen hat, dann weiß er, wie es am besten laufen kann, und die ganzen Regeln und Gesetze, die in der Bibel drinstehn, die sind einfach Tips, wie man das Leben am besten meistern sind. Und ich meine, selbst jeder Anarchist muß einsehn, daß die zehn Gebote so ziemlich die logischsten Sachen sind, um das Leben am besten laufen zu lassen.

In den Amtskirchen vermissen die Jesus-Freaks die persönliche Begeisterung für den eigenen Glauben, sie erscheinen ihnen steril und verkrampft. Außerdem gebe es zu viele Regeln. Die Jesus-Freaks vollziehen selbst Hochzeiten, halten Beerdigungen ab und zelebrieren ihre Erweckungserlebnisse mit Ganzkörpertaufen in Flüssen und Seen – eine offizielle Kooperation mit den Amtskirchen ist da von vornherein ausgeschlossen. Der Konflikt mit den Freikirchen ist bisher nur an manchen Orten ausgebrochen, wie in Duisburg, wo die Jesus-Freaks von Gemeinde zu Gemeinde zogen und immer wieder rausflogen. In Wiesbaden sind die Jesusfreaks im Christlichen Zentrum zuhause, einer dubiosen, aus den USA importierten Gemeinde mit charismatisch-pfingstlerischen Zügen. Aber wer sonst hätte den Jesus-Freaks wohl ein Gemeindezentrum für fünf Tage einfach so zur Verfügung gestellt? Die Gefahr der Vereinnahmung besteht ganz sicher. Aber noch wehren sich die Jesus-Freaks dagegen, als Missionsträger mißbraucht zu werden. Taade Voß, Leadsänger der christlichen Punkband:

Wir hören, wir machen diese Musik nicht, weil wir denken wir müssen Punk-Musik spielen, damit wir schön viele Punker bekehren, sondern weil wir Lust auf diese Musik haben. Und ich glaub das ist der Fehler bei vielen Kirchen, daß sie denken, wir müssen jetzt irgendwas machen, um irgendwelche Leute zu erreichen, sich dann einen abkrampfen, und im Endeffekt gar nicht mehr sie selber sind … Aber wir machen das, was wir sind, und ich glaube, das ist auch eine der entscheidenden Sachen. Die Leute sehen, daß wir so sind, wie wir das machen und daß wir nicht irgendwas stellen um irgendjemanden zu indoktrinieren oder sonstwas.

Auch bei den Jesus-Freaks passieren dubiose Dinge: Leute fallen in Ekstase um, andere erzählen von Heilungserlebnissen im Lobpreisgottesdienst, reden in Zungen oder beten ihre Wohnung gesund, weil sie glauben, daß der Teufel drin steckt. Homosexualität wird tendenziell für sündhaft gehalten, und auch an den Satan glaubt man irgendwie. Aber das alles soll nicht verbindlich sein. Wichtig ist nur, daß Christsein wieder Spaß macht. Martin Dreyer:

Wenn man jetzt die Bewegung so sieht gibt es keine Jesus-Freaks Struktur, es gibt keinen Jesus-Freaks Papst und es gibt übrigens auch keine Jesus-Freaks Dogmen oder so, was uns eigentlich zusammenhält, ist diese Vision, diese Idee, daß man eben doch mit Jesus leben kann, ohne konservativ, langweilig und abgeschlafft zu sein, daß es sogar Spaß bringt und daß es einen erfüllt.

Inhaltlich wollen sich die Jesus Freaks nicht festlegen lassen. Alles ist möglich, Hauptsache, man glaubt an Jesus, und das radikal. Was das genau bedeutet, muß jeder mit sich selbst ausmachen.

Jede Gruppe ist völlig autonom, aber irgendwie gibt’s vielleicht so ne Freak-Ebene auf der sich dann alle treffen und Theologie irgendwie scheißegal wird.

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Sendung 1996 hr2

Websites der Jesus-Freaks: www.jesusfreaks.de und www.freakstock.de