Antje Schrupp im Netz

Mit Powerpoint und schickem Kostüm?

Wie junge Frauen heute ihr Leben entwerfen

Welche Lebensentwürfe haben junge Frauen heute, welche Sehnsüchte, Wünsche, Vorhaben und Ideen für die Welt? Diese Frage lässt sich nicht wirklich beantworten, denn Frauen wollen natürlich das, was alle Menschen wollen: jede etwas anderes. Wozu sich aber durchaus etwas sagen lässt, das sind die Rahmenbedingungen, unter denen junge Frauen heute aufwachsen und in der Welt tätig werden – und diese unterscheiden sich durchaus von denen früherer Frauengenerationen und auch von denen der Männer.

Die Tatsache, dass eine junge Frau eine Frau ist, ist jedenfalls auch im Zeitalter der Emanzipation keineswegs bedeutungslos. »Du bist ein Mädchen« sagt alle Welt von klein auf zu ihr, das ist heute nicht anders als ehedem. Allerdings hat sich die Bedeutung dieser Information sehr gewandelt, und zwar in Richtung auf mehr Uneindeutigkeit. War sich die Welt der Erwachsenen noch vor wenigen Jahrzehnten ziemlich einig darüber, was aus dieser Feststellung »Du bist ein Mädchen« konkret zu folgen hätte, so ist eine junge Frau heute mit einer Vielzahl von teilweise widerstrebenden Erwartungen, Befürchtungen, Zuschreibungen konfrontiert.

Wahrscheinlich ist auch sie, wie Generationen vor ihr, mit Puppen beschenkt und zu Fürsorglichkeit erzogen worden. Will sie dann aber beim »Girls Day« einen Schnuppertag im Kindergarten machen, gibt es vermutlich eine Lehrerin, die ihr stattdessen die Autowerkstatt schmackhaft machen will. Die Schülerin lernt also, dass ihre spontanen Wünsche nicht einfach ihre Wünsche sind, sondern Teil einer sehr komplizierten Angelegenheit: Zum Beispiel haben die Erwachsenen die Welt so organisiert, dass eine Erzieherin weniger verdient als ein Automechaniker. Außerdem stellt sich die Frage, ob ihr Wunsch echt oder anerzogen ist. Aus solchen Dilemmata gibt es keinen Ausweg. Das individuelle Begehren junger Frauen ist belastet mit einer Geschichte der Geschlechterhierarchien, deren Auswirkungen noch immer zu spüren sind.

Allerdings sind diese realen Unterschiede heute nicht mehr eingebettet in eine Propaganda der weiblichen Unterordnung, sondern in das Versprechen der Gleichheit. Die Generation der heute jungen Frauen ist die erste, die in Zeiten vollkommener Gleichberechtigung aufgewachsen ist. Nicht nur gab es zu ihren Lebzeiten keine Gesetze mehr, die ihnen aufgrund ihres Frauseins irgendetwas vorschreiben oder verbieten wollten. Sie haben – und das unterscheidet sie von meiner eigenen Generation der heute um die Vierzigjährigen – auch ganz überwiegend Eltern, Lehrerinnen und andere Erwachsene erlebt, die ihrerseits die Gleichberechtigung der Geschlechter ebenfalls schon für selbstverständlich hielten. Das gilt im Übrigen auch für die meisten jungen Frauen aus Migrationsfamilien – dass es allerdings für viele von ihnen auch nicht gilt, ist ein eigenes Thema, das nicht zufällig in der öffentlichen Debatte hohe Wogen schlägt.

Es ist also kein Wunder, dass das Ideal der Gleichheit einen sehr hohen Stellenwert in den Lebensentwürfen junger Frauen hat: Sie wünschen sich Berufe, in denen die Arbeit von Kooperationen und nicht von Hierarchien geprägt ist. Sie wollen, dass nicht nur erwachsene Paare, sondern auch Eltern und Kinder partnerschaftlich miteinander umgehen. Es scheint fast, als wollten sie aus der Erfolgsgeschichte der Frauenbewegung, die ja die Gleichheit von Frauen und Männern gesellschaftlich verankert hat, gewissermaßen das Modell schlechthin für alle Lebenslagen machen.

Und sie machen damit auch durchaus gute Erfahrungen. Noch nie war zum Beispiel eine Generation von Jugendlichen so glücklich mit ihren Eltern. »Unsere Eltern sind nett. Sie sind mehr als nett, sie sind uns richtig sympathisch« schrieb kürzlich eine junge Autorin in der »taz«.1Die junge Frau von heute hat also in der Regel kein großes Bedürfnis, sich von überkommenen Frauenrollen abzugrenzen, ihre Mutter war ja selbst schon eine emanzipierte Frau. Das Modell »Hausmütterchen« kennt sie nur noch vage, es ist Teil der alten Geschichte, so weit weg wie die Zeiten, in denen Frauen aus unerfindlichen Gründen nicht wählen durften.

Nicht das Apfelkuchenbacken macht die junge Frau skeptisch, eher fürchtet sie den Stress, den sie bei ihrer Mutter vermutlich beobachtet hat. Die stand damals, in den Achtzigern, ja noch unter dem Druck, die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und häuslichen Pflichten unter Beweis stellen zu müssen. Ihre Tochter kann das kaum noch nachvollziehen, bekommt sie doch etwas völlig anderes erzählt: Nämlich dass es ganz toll ist, wenn Frauen arbeiten gehen, weil nämlich die deutsche Wirtschaft ins globalisierte Hintertreffen geraten wird, wenn sie nicht die Kreativität und Leistungsfähigkeit der qualifizierten jungen Frauen für sich nutzt!

Bleibt natürlich die Frage, was man dann mit den Kindern macht und wie viel der dabei anfallenden Arbeiten sich am besten outsourcen lassen. Was ja, wie inzwischen allgemeiner ökonomischer Konsens zu sein scheint, immer kostengünstiger und effektiver ist. Die junge Frau lernt jedenfalls sehr früh, dass es nicht einfach normal ist, Kinder zu bekommen, sondern eine komplizierte Angelegenheit, die gut organisiert sein will. Und sie wird auch darüber informiert, dass Frauen (also sie selbst!) davon besonders betroffen sind. Das Thema quillt förmlich aus allen Talkshows und Frauenzeitschriften. Manchmal wirken dann auch etwas altbacken wirkende Damen und Herren mit, die Dinge sagen wie »Mütter sollten mehr Zeit für ihre Kinder haben« oder »zu viel Fremdbetreuung schadet«. Aber diese Sorte, so viel ist klar, befindet sich auf dem absteigenden Ast.

Vielleicht versteht die junge Frau an dieser Stelle nicht, warum es überhaupt so schlimm sein soll, sich Zeit für Kinder zu nehmen, ein paar Jahre Teilzeit zu arbeiten oder auch mal ganz aus dem Beruf auszusteigen. Ist das Leben nicht lang genug, um auch später noch zu arbeiten? Wenn man denn erst mal eine Arbeit hätte. Also eine, die nicht nur ein befristetes Praktikum oder ein schlecht bezahlter Honorarauftrag ist. Sie ist noch nicht lange in dem Geschäft, aber sie hat natürlich längst gemerkt, dass die Arbeitswelt für Menschen ohne Kinder konzipiert ist.

Skeptisch hört sie die Versprechungen, dass es bald genug Kinderkrippen gibt, die Männer die Hälfte der Hausarbeit übernehmen und die Unternehmen familienfreundlich werden. Die junge Frau weiß natürlich, dass sie all das im Ernstfall nicht einklagen kann, und dass sie also einen Plan B braucht, falls der Vater es sich im Lauf der neun Monate doch noch anders überlegt oder die Firma sie plötzlich als Beraterin in Mailand einsetzen will. Also schiebt sie das Projekt erstmal auf, ist ja noch Zeit.

Sowieso muss sie sich erstmal um ihren Beruf kümmern. Sie hat wahrscheinlich ziemlich gute Abschlüsse in Ausbildung und Studium, aber irgendwie läuft es nicht rund. Ihr gefällt es nicht, dass man immer schneller, immer eloquenter, immer powerpointiger werden muss, um voran zu kommen – sie findet das angeberisch. Aber sie bemerkt, dass die Jungens, die in der Schule doch immer so träge und so unkommunikativ waren, jetzt plötzlich zu Höchstform auflaufen. Sie ist sich noch unschlüssig: Soll sie powerpointmäßig aufrüsten, sich ins Kostümchen schmeißen und mitmischen? Können würde sie das wahrscheinlich, es gibt ja schon genügend Frauen, die es vormachen. Aber will sie wirklich den ganzen Tag von solchen Leuten umgeben sein?

Es gefällt ihr auch nicht, dass es im Berufsleben oft so wenig um die Sache und um Qualität und so viel um Geld und um Status geht. Was natürlich niemand zugibt, alle loben sie ständig für ihre Sachorientiertheit und ihre Kollegialität und ihre Teamfähigkeit. Sie vermutet, dass ihr Chef sich heimlich ins Fäustchen lacht, weil sie immer noch nicht nach einer Gehaltserhöhung gefragt hat (auch wenn die Frauenbeauftragte sie kürzlich in einem Rundschreiben explizit dazu ermutigt hat!) Aber irgendwie findet sie, dass sie eigentlich genug verdient – wenn man bedenkt, dass anderswo Mindestlöhne von sieben Euro fünfzig gefordert (und offenbar nicht gezahlt) werden. Sie fühlt sich auch ein bisschen schlecht, weil sie ja mitwirkt an solchen Statistiken wie der, dass Männer 30 Prozent mehr verdienen als Frauen. Aber soll sie deshalb Sachen machen, die sie falsch findet?

Überhaupt ist sie unschlüssig, was sie von all den Statistiken halten soll, die so hartnäckig Unterschiede zwischen Frauen und Männern zutage fördern. Sie persönlich empfindet sich ja eigentlich gar nicht als Frau, sondern als ganz normaler Mensch. Okay, der Anteil von Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft dümpelt bei unter zehn Prozent, und ähnlich mickrig ist der Anteil der Männer bei der Haus- und Fürsorgearbeit. Liegt es etwa doch an den Hirnströmen oder an den Genen, wie die Anhänger des Biologismus so hartnäckig behaupten? Oder an den alten Männerbünden und patriarchalen Strukturen, über die berufsmäßige Feministinnen ständig klagen?

Solche Debatten gehen der jungen Frau auf die Nerven. Und zwar mit gutem Grund: Schließlich will sie sich weder von Biologen noch von Soziologinnen sagen lassen, dass ihre Lebensentscheidungen letztlich doch nur konditioniert sind. »Wenn ich mich entscheide, wegen meiner Kinder auf Teilzeit zu gehen, dann tue ich das doch nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich Ich bin«, sagte kürzlich eine empört bei einer Diskussionsveranstaltung. Ähnlich genervt reagierten junge Amerikanerinnen im Vorwahlkampf: Wenn eine Clinton unterstützt hat, warfen die Männer ihr vor, sie tue das, weil Clinton eine Frau ist. Wenn sie für Obama war, meckerten die älteren Feministinnen, sie hätte aus Frauensolidarität für Clinton stimmen müssen.2Kann nicht mal jemand akzeptieren, dass die eigene Meinung ganz einfach die eigene Meinung ist?

Vielleicht ist das die große Herausforderung: Den offensichtlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern eine Bedeutung zu geben, ohne damit die Freiheit der einzelnen Frau zu untergraben, etwas anderes zu tun als die Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossinnen. Statt von den Frauen als Gruppe zu sprechen (oder auch von den Männern), könnten wir zum Beispiel Relationen hervorheben: Mehr Frauen als Männer wünschen sich Kinder, mehr Männer als Frauen streben berufliche Führungspositionen an und so weiter. Dass es für all das immer auch Gegenbeispiele gibt, und möglicherweise sogar viele, versteht sich also von selbst.

Außerdem müsste das Ideal der Gleichheit noch einmal kritisch befragt werden. Die Emanzipation garantiert zwar die persönliche Gleichheit junger Frauen, aber an der Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche hat sie nicht gerüttelt. Wenn eine junge Frau Kompromisse eingeht, bei der Kinderbetreuung, beim Geld, bei der Karriere, muss sie sich heute sagen lassen, dass das doch ihre individuelle, freie Entscheidung ist. Sie ist doch schließlich gleichberechtigt. Also muss sie auch mit den Konsequenzen ihres Handelns leben.

Aber die ambivalente Haltung, die viele junge Frauen (und zwar mehr junge Frauen als junge Männer) der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung entgegenbringen, ist nicht deren Privatangelegenheit. Sondern sie ist eine Folge unserer reichlich verkorksten Historie von Geschlechterhierarchien, die die Emanzipation keineswegs gelöst und aufgehoben, sondern an manchen Punkten einfach nur verschleiert hat. Daher geht dieses Unbehagen uns alle an, Frauen und Männer gleichermaßen, und zwar auf der politischen und auf der privaten Ebene.

Nur dass eben die alten Instrumente, die dieses weibliche Unbehagen nach Kategorien von Diskriminierung und Benachteiligung interpretieren, nicht mehr funktionieren. Die junge Frau von heute ist kein Opfer, sie ist Akteurin. Was sie will, das lässt sich letzten Endes nur auf einem Weg herausfinden: Man muss sie selbst fragen – die Kollegin, die Tochter, die Lebensgefährtin. Vielleicht wäre das ja ein gutes Vorhaben: Die Frauen zu fragen, was sie wollen, und zwar mit echtem (und deshalb durchaus auch kritischem) Interesse. Anstatt darüber zu spekulieren, was sie wollen sollten oder was gut für sie wäre.

In: Männerforum. Zeitschrift der Männerarbeit der Ev. Kirche in Deutschland, Nr. 29/2008.

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  1. Nina Pauer: Wir Kinder der 68er, taz vom 17.6.08. 

  2. Dieses Dilemma beschreibt Rebecca Traister: Das Unbehagen der Frau, taz 24./25. Mai 2008.