Antje Schrupp im Netz

Newsletter vom 26.1.2008

1. »Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben«

So beginnt Simone de Beauvoirs Buch »Das andere Geschlecht«, und sie fährt fort: »Das Thema ist ärgerlich, besonders für die Frauen; außerdem ist es nicht neu. Im Streit um den Feminismus ist schon viel Tinte geflossen, zur Zeit ist er fast beendet.« Dieses Ende des Feminismus schien damals das Frauenwahlrecht zu gewährleisten. Es war über 150 Jahre lang das alles dominierende Thema der Frauenbewegung gewesen und wurde 1944 etwas verspätet auch in Frankreich eingeführt. Beauvoir nun zeigte wenige Jahre später, dass das Wahlrecht alleine nicht ausreicht, um weibliche Freiheit zu verwirklichen, sondern dass auch soziale Rollenfestlegungen, vor allem in der Erziehung und in der Vorstellung von »natürlicher Weiblichkeit«, aufgebrochen werden müssen. Damit läutete Beauvoir eine neue Epoche der Frauenbewegung ein. Der Kampf um das Wahlrecht wurde abgelöst vom Kampf um gleichberechtigte Lebenschancen und eine andere Mädchenerziehung.

Ich bin der Ansicht, dass es heute wieder notwendig ist, eine neue Epoche der Frauenbewegung einzuläuten: Denn es wird ja immer offensichtlicher, dass auch die Politik der Gleichstellung und Frauenförderung nicht ausreicht, um die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche zu beenden. Dabei ist die erneute Lektüre von Beauvoirs Büchern im Übrigen eine große Inspiration. Das wird auch bei den vielen Vorträgen und Workshops deutlich, die in diesem Jahr aus Anlass ihres 100. Geburtstags abgehalten werden und rege Debatten auslösen (anders als in den Medien, wo das Jubiläum nach meiner Wahrnehmung nur ein pflichtschuldiges, weitgehend uninspiriertes »Abfeiern« hinterlassen hat).

Meine Vorträge zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir stehen hier im Internet: antjeschrupp.de/simone-de-beauvoir-herford. Weitere Veranstaltungen zum Thema:

  • am Montag, 28. Januar, in Aalen (19 Uhr, VHS)
  • am Dienstag, 12. Februar, in Detmold (19 Uhr, Café Schokolade, Marktplatz, Lange Str. 41)
  • am Dienstag, 11. März, in Siegen (19.30 Uhr, Krönchen Center, Markt 25)
  • am Montag, 28. April, in Schwäbisch-Gmünd (19.30 Uhr, VHS Gmünd, Münsterplatz 15)

2. Durch Arbeit zur Emanzipation?

Ein wichtiges Anliegen von Simone de Beauvoir war es ja, dass Menschen sich nicht von äußeren Umständen oder der Meinung anderer beeinflussen lassen, sondern ihr eigenes Urteil finden und die volle Verantwortung für ihr Handeln in der Welt übernehmen (eine Haltung, der die damalige Mädchenerziehung geradezu entgegenlief). Beauvoir zeigte, wie die Beschränkung auf Hausarbeit und Kindererziehung zu ihrer Zeit Frauen davon abhielt, ihre Wünsche in die Welt zu tragen und dort umzusetzen, und hoffte, die Erwerbsarbeit der Frauen würde zwangsläufig auch mehr weibliche Freiheit bewirken. Heute muss dieser Optimismus wohl in Frage gestellt werden. Denn ist es nicht so, dass die Haltung des bloßen »Funktionierens«, das Eingesperrtsein in Konventionen und Vorgaben von Außen sich längst voll im Erwerbsleben ausgebreitet hat, auch unter Männern? Nicht zufällig ist deshalb heute ein Hauptthema des Feminismus das Verhältnis von weiblicher Freiheit und Wirtschaft. Denn wenn Erwerbsarbeit nicht automatisch zu mehr Freiheit führt, stellt sich doch andersrum die Frage, was vom Standpunkt der weiblichen Freiheit aus zum Thema Arbeit zu sagen wäre – und zwar jenseits von Gleichstellungs- und Integrationsforderungen.

»Durch Arbeit zur Emanzipation? Weibliche Freiheit in Zeiten sozialer Härte und flexibler Arbeitsmärkte« ist das Thema eines Vortrags, den ich am Dienstag, 29. Januar, um 15 Uhr in Gelsenkirchen halte, und zwar im Rahmen einer Fachtagung über »Frauenerwerbsarbeit (im Ruhrgebiet) heute – Leidensweg oder Erfolgsgeschichte?« von 14-17.30 Uhr im Wissenschaftspark, Munscheidstr. 14. (Infos unter Telefon 02361 9063812, bbuske@dgb-bildungswerk-nrw.de, www.alle-lernen.de)

3. Priester und Feministinnen

»Wir sind Rivalinnen der Priester im Hinblick auf die Fähigkeit, glaubwürdig und maßgeblich zu Frauen zu sprechen: Wir haben dabei den Vorteil, dass wir selbst Frauen sind, sie haben den Vorteil, dass sie eine privilegierte Beziehung zu Gott zu haben scheinen, etwas, das vielen Frauen nicht gleichgültig ist« schreibt die italienische Philosophin Luisa Muraro in ihrem Artikel »Priester und Feministinnen«, der das Dezember-Heft der »Via Dogana« (der Zeitschrift des Mailänder Frauenbuchladens) einleitet. Ihre Analyse dieses traditionell schwierigen Verhältnisses von Klerus und Feminismus erscheint mir vor allem auch deshalb interessant, weil sie darin verschiedene Themen anspricht, die wir im vergangenen Jahr diskutiert haben: Das Verhältnis von Spiritualität und Weiblichkeit, von Männern und Frauen, die Zukunft des Feminismus usw. Daher habe ich ihn für das Internet-Forum »Beziehungsweise weiterdenken« übersetzt – bitte lesen und an alle möglicherweise Interessierten weiterempfehlen…

Luisa Muraro: Priester und Feministinnen – http://www.bzw-weiterdenken.de/artikel-3-102.htm

4. Das konventionelle Leben einer Fürstin

Um noch einmal auf Beauvoir zurück zu kommen: An ihren Appell zur Weltveranwortung musste ich auch dauernd denken, als ich kürzlich die Brief-Biografie der Fürstin Louise Isabelle von Nassau-Weilburg las – eigentlich nur, weil ich selbst in Weilburg zur Schule gegangen bin, und mich interessierte, von wem dieses Schloss da früher bewohnt war. Louise Isabelle war sozusagen ein Ausbund an Konventionalität, keine Spur einer Rebellin, und da stellt sich, mit Beauvoir’schem Blick, schon die Frage, warum ihr angepasstes Leben überhaupt der Überlieferung wert sein soll. Das ist keine rhetorische Frage! Dieses ergebene Aufgehen in den Umständen, das Akzeptieren der Kontingenz und des Zufälligen (zum Beispiel eines durch politische Arrangements bestimmten Ehemannes) ist eine weibliche Haltung zum Leben, die offensichtlich in bestimmten Fällen durchaus mit individuellem Lebensglück zusammenfällt. Ist sie nicht auch eine wohltuende Alternative zu Beauvoirs Anstrengung und Disziplin, mit der sie nichts in ihrem Leben dem Zufall überlassen konnte? Oder sind das wieder solche falschen Alternativen, wie sie ein patriarchales Denken uns vorgibt? Meine vorläufige Idee nach der parallelen Lektüre von Beauvoir und Louise Isabelle ist: Ganz sicher kann es nicht darum gehen, einen Mittelweg zwischen beiden zu finden. Eher müssten wir eine Möglichkeit herausarbeiten, gleichzeitig beides zu können: Das zufriedene Akzeptieren von Zufällen und die fröhliche Akzeptanz des eigenen Bedingtseins und die Einsicht in die Wichtigkeit der persönlichen Verantwortung und die Lust daran, die Welt dem eigenen Begehren folgend zu gestalten.

Zum Weiterlesen: Andrea Krautkremer: »A mon tres cher Fritz«. Fürstin Louise Isabelle von Nassau-Weilburg (1772–1827) in ihren Briefen – antjeschrupp.de/rez-krautkremer-louise