Antje Schrupp im Netz

Im Namen des Heiligen Geistes

Pfingstkirchen erobern die Dritte Welt

Wer sich um die Zukunft des Christentums Sorgen macht, kann sich beruhigen – auch wenn die traditionellen Kirchen derzeit weltweit über Mitgliederschwund klagen, das Christentum insgesamt boomt: Vor allem in der sogenannten Dritten Welt, in Lateinamerika und in Afrika schließen sich jedes Jahr Millionen von Menschen einer der zahllosen Pfingstkirchen an, die in Lateinamerika als »Evangelische«, in Afrika als »Unabhängige« Kirchen firmieren. Experten schätzen die Anhängerschaft dieser von Institutionen und Dogmen unbehinderten Glaubensbewegung bereits auf eine halbe Milliarde Menschen.

Die zierliche Predigerin im schicken weißen Hosenanzug hat eher die Qualitäten einer Bluessängerin als die einer Theologin – und ihr meist jugendliches Publikum ist begeistert. Mehrere tausend Gläubige haben sich hier in einem ehemaligen Theater in Sao Paulo versammelt, um das zehnjährige Bestehen der Kirche »Renascer em Christo« – in Christus wiedergeboren – zu feiern, einer der vielen pfingstlerischen Kirchen in Brasilien.

In den zehn Jahren ihres Bestehens hat es die Kirche von Bischöfin Hernandez schon weit gebracht: Ihr Hauptgebäude ist prachtvoll und elegant hergerichtet, weiße Wolken mit indirekter Beleuchtung erwecken den Eindruck, man befände sich tatsächlich im Himmel. Die Kirche verfügt nicht nur über Filialen im ganzen Land, sie hat kürzlich auch einen eigenen Fernsehsender in Betrieb genommen. In ihren Läden verkaufen junge Leute, die wie MTV-Moderatoren aussehen, Jesus-T-Shirts, Gospel-CD's, und Baseball-Kappen mit frommen Sprüchen drauf. Der Prediger Estevam Hernandes Filho schaut aus Anlaß des Jubiläums auf die Anfänge der Kirche zurück:

«Gott bereitet uns besondere Tage im Leben, und heute ist so ein besonderer Tag für uns. Wir feiern hier mit diesem wunderbaren Lobpreis, mit dieser Fülle, die vom Heiligen Geist kommt, und in dieser schönen Umgebung, die der Heilige Geist uns schafft. Ich erinnere mich daran, wie wir vor zehn Jahren hier draußen auf der Straße standen. Wir wollten den Herrn loben, aber wir hatten nichts. Wir hatten niemanden, der Musik machen konnte, keiner von uns hatte eine Gitarre. Wir hatten nur den tiefen Wunsch, den Herren anzubeten und ihm zu dienen. Und im Lauf der Zeit hat Gott all diese wunderbaren Dinge ins Rollen gebracht. In diesen zehn Jahren haben wir eine Sache gelernt: Der Teufel kann den Lobpreis nicht ertragen, der aus dem Munde von Gottes Volk strömt.«

Ähnlich wie »Renascer em Christo« wissen auch die meisten anderen pfingstlerischen Kirchen Gott an ihrer Seite – und es ist in der Tat schwer, eine andere Erklärung für ihren atemberaubenden Erfolg zu finden: Allein in Brasilien, so schätzen Soziologen, schließen sich jedes Jahr zweieinhalb Millionen Menschen einer Pfingstkirche an. Die »Evangelischen«, wie sie im traditionell streng katholischen Lateinamerika genannt werden, haben es inzwischen auf rund 13 Prozent der Bevölkerung gebracht – fast dreimal soviel wie noch 1980. Gemeinsam ist diesen Kirchen, von deren es tausende gibt, nicht nur ihr rasantes Wachstum, sondern auch die Ablehnung der traditionellen christlichen Kirchen, also des Katholizismus, aber auch der historischen protestantischen Kirchen wie der lutherischen, baptistischen oder methodistischen. Gewachsene Institutionen und Kirchenlehren erkennen sie nicht an, sondern glauben an die unmittelbare Offenbarung durch den Heiligen Geist – ähnlich wie sie die Apostel im Pfingsterignis – Apostelgeschichte 2,3, erfahren haben. Wer die sogenannte Geisttaufe an sich erlebt hat, kann in unbekannten Sprachen reden, Drogenabhängigkeit und Kriminalität überwinden, dessen Leben ändert sich von Grund auf. In der Kraft des Geistes können Krankheiten geheilt und alle Hindernisse überwunden werden, nichts ist unmöglich, dem, der glaubt.

Spätestens im Jahr 2030, so prophezeien pfingstlerische Kirchenführer, wollen sie in Lateinamerika die Katholiken an Mitgliederzahl überholt haben. Man sollte solche Sprüche nicht voreilig belächeln: Auch hier läßt die Kirchenbindung bei katholischen Christinnen und Christen, zumal in den Großstädten, nach, während die Evangelischen mit Leib und Seele bei der Sache sind: Würde man an einem beliebigen Sonntag in einer größeren Stadt den Gottesdienstbesuch der Evangelischen und der Katholischen gegenüberstellen, dann wäre gar nicht sicher, wer besser abschneidet.

Auch in Afrika schießen die Pfingstkirchen wie Pilze aus dem Boden: Schätzungsweise 5000 verschiedene Gruppierungen werden gezählt. Ob in Nigeria oder Ghana, in Zaire oder Kenia, in Angola oder Südafrika: Während die traditionellen Missionskirchen schrumpfen, boomen die »unabhängigen« Kirchen, wie die Pfingstler in Afrika genannt werden. In Südafrika zum Beispiel stellen sie vierzig Prozent der schwarzen Bevölkerung, in Zimbabwe die Hälfte aller Christen. Aber auch im fernen Osten, vor allem in Südkorea, sind die Pfingstkirchen in den letzten Jahren stark geworden. Lateinamerika, Afrika, Ostasien – so unterschiedlich die Kulturen dieser Kontinente sein mögen, eines ist den Pfingstkirchen in diesen Ländern gemeinsam: Es ist vor allem eine religiöse Bewegung der Armen, des Volks, der Frauen, der Analphabeten, der einfachen Leute – weltweit haben sich ihr bereits fast eine halbe Milliarde Menschen angeschlossen. Jeder vierte Christ ist heute pfingstlerisch, Tendenz steil steigend.

Dennoch wird diese Glaubensbewegung von den offiziellen, etablierten Kirchen bisher nicht so recht zur Kenntnis genommen. An bedeutenden christlich-theologischen Fakultäten rund um die Welt kann man zwar Seminare über hinduistische Traditionen in dieser oder jener Provinz Indiens belegen oder den muslimischen Sufismus im Mittelalter diskutieren, ein Angebot zum Thema Pfingstler sucht man jedoch meist vergebens. Die Auseinandersetzung mit ihnen wird politisch, nicht theologisch geführt: Sie sind mehrheitlich ungebildet und arm, ihr Glaube enthält magische Elemente, sie sind ekstatisch und unberechenbar – das macht sie für konservative Theologen suspekt. Und den Fortschrittlichen, den Linken, sind sie sowieso ein Dorn im Auge: Die Pfingstler würden – so einige der gängigen Verschwörungstheorien – vom CIA oder vom internationalen Kapital finanziert, um die Befreiungstheologie zu zerschlagen. Linke Reformer können nicht glauben, daß die Armen und Unterdrückten, die sie zu Freiheit und sozialer Gerechtigkeit führen wollten, nun massenweise in die Pfingstkirchen strömen und ihre Hoffnung nicht auf die Revolution, sondern auf die Kraft des Heiligen Geistes setzen. »Die Befreiungstheologie hat die Option für die Armen erfunden«, so spotten Soziologen in Lateinamerika, »aber die Armen haben die Pfingstler gewählt«. Der Mittelstand jeglicher politischer Coleur reagiert indigniert.

Auf Kritik stößt vor allem die Praxis vieler pfinstlerischer Kirchen, ihren Mitgliedern den Zehnten abzuverlangen, Geld, das dann meist in neue Kirchengebäude, neue Pastoren oder in Sendeplätze im Radio oder im Fernsehen gesteckt wird. Viele sozial engagierte Intellektuelle finden es unmoralisch von den Pastoren und Pastorinnen der Pfingstkirchen, den Menschen in den Slums der Dritten Welt Geld abzunehmen, um davon die Expansion ihrer Kirchen zu finanzieren. Leonildo Silveira Campos, Soziologe und Theologe an der Universität von Sao Paulo, glaubt jedoch, daß eine solche Argumentation am Kern der Dinge vorbeigeht:

«Von ihrem Standpunkt aus denken die Armen nicht so: Das ist eine Kirche, die uns Geld abknöpfen will. Sicher, ich spende Geld, sicher, ich gebe den Zehnten, aber was ist der Zehnte im Vergleich zu dem, was Gott mir geben kann? Ich glaube, wir, als Leute aus der Mittelschicht, haben eine völlig andere Logik als die Menschen der Unterschicht. Wir denken: Wie absurd, daß jemand, der hundert Dollar im Monat verdient, zehn davon an die Kirche abgibt! Aber wie denkt jemand, der diese zehn Dollar der Kirche gibt? Er sagt: Ich gebe zehn an die Kirche, weil ich möchte, daß Gott mir eine Arbeit gibt, bei der ich 500 verdiene. Und damit Gott uns heilen wird, wenn jemand aus meiner Familie krank wird. Wenn ich den Zehnten nicht zahle, wird Gott mich nicht heilen. Die Logik der Armen ist eine ganz andere, das ist nicht unsere Logik.«

Die Menschen, die in den Favelas von Rio oder Sao Paulo leben, die Verlierer des globalen Kapitalismus – sie glauben nicht mehr daran, daß ihre Probleme in absehbarer Zeit auf politische Weise gelöst werden. Wenn die 14 Millionen Aidskranken in Afrika ihre Hoffnung eher auf die Macht des Heiligen Geistes setzen als auf die der Weltgesundheitsorganisation, wer will ihnen das zum Vorwurf machen?Und ist es wirklich naiv und dumm, wenn die Opfer von Bürgerkriegen und politischer Korruption eher Gott um die Lösung ihrer Probleme bitten, als die UNO? Wenn sie eher mit einem Wunder rechnen, das sie aus ihrer Armut erretten wird, als auf die sozialistische Revolution zu warten? Zumal ihre Hoffnung durchaus einen realen Hintergrund hat. Soziales Engagement, betont Leonildo Silveira Campos, gehört längst zum Programm vieler Pfingstkirchen:

«Es gibt tausende von Familien in den Favelas, die nur Sachen essen, die die Kirchen ihnen geben. Ein anderes Beispiel sind die Gefängnisse. Wir haben Interviews geführt in einem Staatsgefängnis, und an diesem Tag hat eine Pfingstkirche, die Igreja Universal, eine Kampagne gemacht und fünfzig Gefangene getauft. Die hatten ihre Frauen mitgebracht, die sich zusammen mit ihnen taufen ließen. Und die Kirche verteilt Lebensmittel an die Familien der Gefangenen, natürlich nur solange, wie sie sich zur Kirche bekennen. Und wenn der Mann dann aus dem Gefängnis entlassen wird, sorgt die Kirche für eine komplette Infrastruktur und andere Kirchenmitglieder mit kleinen Unternehmen geben den früheren Häftlingen Arbeit.«

Es ist gewissermaßen eine Hilfe zur Selbsthilfe, allerdings ohne das, was in linken Kreisen häufig als »politischer Anspruch« eingeklagt wird. Nicht auf politischem Weg, durch soziale Revolution, soll eine gerechte Gesellschaft herbeigeführt werden, sondern man glaubt, daß Gott einem helfen wird, individuell oder in der Gemeinschaft der Kirche. Für Gott ist nichts unmöglich – selbst in dieser Welt voller Armut und Ungerechtigkeit kann er die Probleme der Armen lösen – dies ist die Hoffnung, die die die Pfingstkirchen anzubieten haben. Es ist kein Wunder, daß sich vor allem Frauen hier angesprochen fühlen – leiden sie doch häufig darunter, daß ihre Männer sie mit den Kindern alleinlassen, ihren geringen Lohn nicht zuhause abliefern, sondern mit Freunden versaufen, kurz, sich aus der Verantwortung für die Familie stehlen. Pfingstkirchen versprechen hier eine reale Abhilfe, indem sie eine wirksame Sozialkontrolle bieten: Ein guter Christ trinkt nicht, läßt sich nicht von seiner Frau durchfüttern, trägt sein Geld nicht zu Postituierten, sondern ist arbeitsam, verantwortungsbewußt, sorgt sich um Frau und Kinder – dies ist die Vision, die Frauen in der Dritten Welt zu den eifrigsten Missionarinnen der Pfingstkirchen werden läßt. Auch wenn die meisten dieser Kirchen ein eher traditionell konservatives Frauenbild vertreten – der Mann ist das Haupt der Familie, die Frau ist für Kindererziehung zuständig, häufig dürfen auch nur Männer Priester sein – spielen besonders Frauen eine sichtbare und überaus wichtige Rolle in den Pfingstkirchen. Der Heilige Geist weht eben, wo er will, und wenn er eine schwache Frau erwählt, ist das ein umso größerer Beweis für seine Stärke.

Zum Beispiel im Gottesdienst der nigeranischen Kirche »Celestial Church of Christ« sind in Pfingstgemeinden alle Gläubigen aufgefordert, sich am Gottesdienst zu beteiligen. Spontan werden Gebete gesprochen, werden Gedanken geäußert, bisweilen kann das ekstatische Züge annehmen. Deshalb haben Frauen auch vergleichsweise viele Möglichkeiten, mitzuwirken, selbst wenn sie, wie hier in der Celestial Church, ihren Kopf bedecken müssen und von den Männern getrennt sitzen. Anders als im Katholizismus, wo es keine Ausnahmen von päpstlichen Dogmen wie dem Verbot der Frauenordination geben kann, oder wie im historischen Protestantismus, wo nur studierte, also reiche Menschen – Männer wie Frauen – Zugang zum Predigtamt haben, können vom heiligen Geist inspirierte Pfingstlerinnen und Pfingstler jederzeit predigen, laut beten und missionieren – ganz abgesehen davon, daß es ja auch jeder Frau freisteht, ihre eigene Kirche zu gründen, was übrigens immer wieder geschieht, wenn eine Pfingstkirche sich allzu machistisch gebärdet. Eine der größten Kirchen in Lateinamerika, die Kirche des viergeteilten Evangeliums, wurde in den dreißiger Jahren von einer Frau gegründet.

Die Geschichte der Pfingstbewegung geht auf die Gemeinde des schwarzen Predigers John Seymour in Los Angeles zurück. Dort ereignete sich, so will es die Legende, im April 1906 das erste Geistwunder: Menschen konnten in fremden Sprachen reden, hatten esktatische Zustände, sangen, beteten, kurz: Es war ein religiöses Erweckungserlebnis von großer Ausstrahlung. Hunderte und tausende strömten täglich zu den Treffen in einer alten Baracke in Azuza Street, in einem heruntergekommenen Viertel, wo Tagelöhner, Näherinnen und Putzfrauen zuhause waren. Daß sich mitten im Amerika der strikten Rassentrennung Schwarze, Weiße und Latinos, Frauen und Männer, zum gemeinsamen Gottesdienst versammelten, daß sie sich in die Arme fielen, zusammen tanzten und feierten, war wohl tatsächlich ein Wunder. John Seymour und diese ersten Pfingstlerinnen und Pfingstler interpretierten in der Tat die Aufhebung der Rassentrennung als eines der wichtigsten Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes, machten sie zur Grundlage ihres Glaubens. Für die bürgerlichen Medien, aber auch für die traditionellen Kirchen, wo Menschen verschiedener Hautfarbe säuberlich getrennt in je eigenen Gemeinden untergebracht wurden, waren die Ereignisse in Los Angeles ein Skandal. Doch auch die weißen Prediger in der Pfingstbewegung selbst konnten sich von ihrem tiefsitzenden Rassismus nicht dauerhaft lossagen: Bald schon gründeten sie eigene Kirchen, in denen sie die Rassentrennung wieder einführten. Heute sind die Pfingstkirchen in ihrem Mutterland USA überwiegend politisch konservativ, ihre Frömmigkeit hat engstirnige, aufgesetzte Züge. Selten haben sie die Lebendigkeit und die Kraft, die sie in den armen Ländern der Welt entwickeln. Ganz erheblich unterscheidet sich die Pfingstbewegung jedoch vom fundamentalistischen, evangelikalen Christentum, auch wenn beides häufig in eins gesetzt wird: Die christliche Fundamentalisten glauben an die wörtliche Inspiration der Bibel, traditionelle Glaubenssätze spielen für sie ebenso eine große Rolle wie die institutionelle Autorität ihrer Prediger und Kirchenführer und die Einhaltung der einmal festgesetzten Regeln. Theoretisch würden auch die Pfingstler diese Dinge nicht in Frage stellen, und niemals kämen sie auf die Idee, etwa mit historisch-kritischen Forschungsmethoden an die Bibel heranzugehen. Doch im Vergleich zur unmittelbaren Wirkung des Heiligen Geist auf den einzelnen Menschen oder die Gemeinschaft ist all dies zweitrangig: Anders als die Fundamentalisten würden sich Pfingstler niemals auf Diskussionen über ihre theologischen Grundlagen einlassen – wer ihren Glauben in Frage stellt, gehört offenbar eben noch nicht zu denen, die solche Geisterlebnisse haben. Und solange der Heilige Geist sich einem Menschen nicht gezeigt hat, ist es zwecklos, ihn überzeugen zu wollen: Pfingstlerische Christinnen und Christen haben keine theologischen Argumente für das, was sie tun, sondern sie berufen sich lediglich auf ihre Erfahrung – und weil ihnen die sowieso niemand streitig machen kann, sind sie häufig auch viel gelassener im Umgang mit Andersgläubigen, als fundamentalistische Glaubensstreiter.

Im Mittelpunkt pfingstlerischer Gottesdienste steht deshalb auch nicht die Auslegung von Bibelworten, sondern das Zeugnis von Menschen, die erzählen, wie sich ihr Leben durch den Glauben verändert hat, wie sie das Böse darin besiegt haben, und in den armen Ländenr heißt das meistens, daß sie nach ihrer Bekehrung einen sozialen Aufstieg erlebt haben: Da ist die Frau, deren Mann früher nie nach Hause gekommen ist, ihr nie Geld für das Essen der Kinder gegeben hat, und den sie zur Kirche bekehren konnte – jetzt hat er eine geregelte Arbeit und ist ein liebevoller Vater.

Oder der junge Mann, der früher ein Drogendealer und Krimineller war – in nur wenigen Monaten hat er nach seinem Geisterlebnis eine richtige Arbeit gefunden, geheiratet und ist heute stolzer Besitzer eines Autos und eines Handys. Oder die junge Frau, die früher als Prostituierte gearbeitet hat und nichts weiter besaß, als Shorts und ein zerrissenes T-Shirt, heute arbeitet sie als Verkäuferin und, so erzählt sie stolz, hat soviele Kleider, daß sie fast den Schrank nicht mehr zukriegt. Soziologen sprechen daher auch von einer Theologie des Wohlstands, die einem Großteil der Pfingstkirchen zugrunde liege.

Beim »Gottesdienst« einer der aggressivsten Pfingstkirchen Brasiliens, der Igreja Universal do Reino de Deus, der »Universalen Kirche des Gottesreiches« läuft der Pastor mit dem Mikrofon in der Hand von einer Seite der Bühne zur andern und schreit auf die Leute ein, die rund dreitausend Sitzplätze in dem ehemaligen Kino sind nahezu alle besetzt – und das, obwohl hier fünfmal täglich Gottesdienst ist. Die Kirche wurde vor genau zwanzig Jahren gegründet und hat heute in Brasilien bereits über fünf Millionen Mitglieder, einen großen Fernsehsender und Filialen in aller Welt. Offen sucht sie die Konfrontation mit der katholischen Kirche und mit den bürgerlichen Medien – auch uns wurden alle Interviews verweigert und die Aufnahmen mußten heimlich mitgeschnitten werden. Aber das Szenario ist typisch: Das Böse, das Elend, die Armut, die Kriminalität, die Drogensucht, all das wird auf einen Namen gebracht: Satan. Er manifestiert sich hier in zwei Männern und einer Frau, die auf der Bühne stehen und die ganze Gemeinde, der Pastor vorneweg, schreien auf sie ein. Es herrscht allgemeine Extase, alle Wut konzentriert sich auf diesen Punkt: Sai, fahr aus, schreien alle – eine Dynamik, die für Außenstehende beängstigend ist.

Die Einbeziehung magischer Elemente, die Verknüpfung christlicher und naturreligiöser Elemente ist ein wichtiger Faktor, der zum Erfolg der Pfingstkirchen beiträgt. Pfarrer Stephen Adeniyi, der in Frankfurt eine Gemeinde seiner Celestial Church of Christ gegründet hat, die hauptsächlich von nigerianischen Einwanderinnen und Einwandern besucht wird, steht zu dieser Praxis:

«Die Afrikaner haben zwei Möglichkeiten: Entweder geht man zum Medizinmann, oder zur Kirche. Aber jetzt die Zeit, daß Christentum auch in die afrikanischen Länder gegeben ist, ist diese, daß man zu Medizin geht, irgendwie zurückgegangen. Aber trotzdem, das kann man durch den Prophet auch etwas fragen. Sogar die Medizinmänner lassen das jetzt und kommen auch zu dem Christentum.«

Auch in Brasilien, wo in der afrikanisch-stämmigen Bevölkerung die während der Sklaverei aus Afrika mitgebrachten Naturreligionen über Jahrhunderte tradiert wurden und heute wieder einen Aufschwung erleben, ist die Empfänglichkeit für magische Rituale weit verbreitet. Viele Pfingstkirchen verteilen in ihren Gottesdiensten Blumen, die die Gläubigen dann in ihrem Zimmer an die Decke hängen sollen. Wenn sie verwelken, ist alles Böse in sie hineingefahren und die verwelkten Blätter werden dann in einer gemeinsamen Zeremonie verbrannt. Auch in vielen mittelamerikanischen Ländern ist ein magisches Naturverständnis aus den indianischen Kulturen gerade in der Landbevölkerung noch weit verbreitet. Pfingstlerische Kirchen verstehen es meisterhaft, solche Überlieferungen sogar mit moderner Technik zu verbinden: Fernsehprediger fordern die Zuschauerinnen und Zuschauer auf, während der Übertragung ein Glas Wasser auf den Fernsehapparat zu stellen. Die Kraft des Heiligen Geistes, die sich in der Predigt oder beim übertragenen Gottesdienst entfaltet, so sagen sie, übertrage sich auf das Wasser, das dann eine heilende Wirkung hat, wenn man es trinkt.

Rufus Ositelu, in Deutschland lebender Pfarrer einer anderen afrikanischen Kirche, der Aladura Church of the Lord, wirbt um Verständnis für diese Form der Frömmigkeit.

«Man muß von der Tradition der Leute ausgehen. Von der Tradition ist es ja so, diese Naturreligion, man geht zu irgendwelche Priester und bringt seine Probleme und sagt dies und jenes und der Priester sagt, ok, ich werde was machen, Voodoo oder sonstwas und sagt, kommt zwei Tage später oder drei Tage später und der sagt, ok, mach dies und mach jenes. Und so hab ich gehört auch, … daß es ungefähr, nicht daß er Voodoo macht, aber das System ist gleich. Jemand hat Probleme und geht zu dem Pastor von … pfingstlerische Kirche, .. und sagt, Pastor ich hab das Problem und der Pastor sagt ok, ich werde das und das und das machen, also vom System her, der Inhalt mag anders sein, aber das System ist gleich. Der Pastor sagt, ich mach das, komm in zwei Tagen oder nächste Woche und manchmal es klappt, manchmal es klappt nicht, es wird irgendwelche Begründung gegeben, und die Leute sind, das ist ihr Kultur, und die glauben an Christ, die glauben an Gott, aber die finden sofort ein System, das denen bekannt ist, und deshalb gehen die Leute dorthin.«

Ein weiterer Faktor, der zum Erfolg der Pfingstkirchen beiträgt, ist ihre Abkehr von überkommenen, europäisch geprägten Formen des Gottesdienstes. Ihre Kirchen sind keine alten Steingemäuer, sondern umgebaute Kinos, Fabriken oder Pferdeställe. Ihre Musik besteht nicht aus dem europäischen Mittelalter entstammenden Chorälen, sondern paßt sich dem Geschmack der Gemeinde an: In Afrika dominieren die Trommeln, in Brasilien tanzen die Priester Samba, in Kirchen mit jugendlichem Publikum spielt eine Rockband.

«Gott hat uns hier auf der Erde eine starke Waffe gegeben, und diese Waffe ist die Musik. … Gott ist der Gott aller Rhytmen und aller Tonarten. Gott hat uns geschaffen, damit wir ihn auf jede erdenkliche Art preisen. Und es ist egal, ob das mit einem Choral ist, oder mit einer Orgel, oder mit einem Klavier, mit klassischer Musik oder mit Rockmusik. Worauf es ankommt ist ganz allein, daß wir ihn und seinen Namen über alles preisen, denn er ist der Sieger, ihm gebührt alle Ehre.«

Pfingstlerisches Christentum ist eine Religion für das ganze Leben, für den Alltag der Menschen. Ihre Stärke ergibt sich aus ihrer Unabhängigkeit von festen Strukturen und Dogmen – auch wenn einzelne Pfingstkirchen immer wieder versuchen, sich durch ein starres Klerikersystem oder durch wirtschaftliche Macht zu etablieren, langfristig haben sie selten Erfolg. Zu leicht ist es für charismatische Persönlichkeiten, kurzerhand eine eigene Kirche zu gründen, zu groß ist die Fluktuation der Gläubigen auch zwischen den einzelnen Gruppen und Gemeinschaften. Eine Kirche, die keine Ausstrahlung mehr hat, die die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht mehr anspricht, oder die einfach keinen Spaß mehr macht, weil die Musik nicht stimmt, hat keine Überlebenschance. Natürlich ist das ein idealer Nährboden für Scharlatanerie, für Sektenwesen, für Abzockerei. Natürlich ist der unpolitische Ansatz dieser Religiosität gerade in Ländern mit diktatorischen und korrupten Regierungen ein Problem. Aber so berechtigt solche Vorwürfe im Einzelfall auch sein mögen, bieten sie doch kaum eine befriedigende Antwort auf die Herausforderung, die die weltweite Pfingstbewegung für das Christentum darstellt. Und allzu häufig verbirgt sich hinter solchen Einwänden auch ein gutes Stück Arroganz der Gebildeten, der studierten Theologen, gegen die Volksfrömmigkeit der armen Bevölkerung in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. Zum Glück hat der Dialog bereits begonnen. Einige afrikanische Pfingstkirchen sind bereits assoziierte Mitglieder im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf, dem Dachverband protestantischer und orthodoxer Kirchen in aller Welt. Und auch die katholische Kirche in Lateinamerika geht in den letzten Jahren von ihrem Konfrontationskurs ab und sucht das Gespräch, zumindest mit den gemäßigteren Pfingstkirchen. Auch an der Basis findet bereits einiges an Zusammenarbeit statt, berichtet die brasilianische lutherische Pfarrerin Regene Lamb:

«Bei aller Kritik muß man doch zugestehen, daß die Menschen freiwillig in die Pfingstkirchen gehen. Hier finden sie Antworten auf ihre Fragen, hier finden sie eine Gemeinschaft, einen sozialen Rückhalt und eine Hoffnung im Leben.«

Dieser Text ist im Frühjahr 1997 als Radiosendung im Hessischen Rundfunk gelaufen und später auch in verschiedenen Zeitungen erschienen (In: Die Brücke, Zeitschrift für Schule und Religionsunterricht im Land Bremen, Jahresheft 2003, gekürzte Fassung).